Die Begegnung
Es war später Nachmittag als Jessica vor einen Haus auswärts des
Ortes hielt. Sie verglich den Namen auf dem Briefkasten mit den kleinen
Notizzettel. "Harms". Hier war sie also richtig.
Der kleine Golf sah aus wie nach mehreren Wochen harten
Dschungeleinsatzes: der alte Feldweg in den Wald und an den Feldern vorbei
hatte seinen Tribut gefordert. Schnee und leichter Regen hatten den Weg in
Schlamm verwandelt. Das Weiß der eigentlichen Farbe war kaum noch zu
erkennen.
Das Haus des Harms lag abseits des Ortes. Vielleicht gute fünfzehn
Minuten Fahrt. Jessica war froh, das man ihr den Weg erklärt hatte und
sie ihr Ziel gefunden hatte. Zwischen all den Wäldern und kleinen
Landstraßen sah jede Biegung wie vorhergehende aus. Endlich hüpfte ihr
Wagen über einen schlechten Feldweg auf ein altes Bauernhaus zu.
Zufrieden erkannte die Licht im inneren. Den ganzen Weg umsonst war sie
also nicht
gekommen. Müde stieg sie aus, verzichtete für den kurzen Weg auf die
gelben Handschuhe und trat durch die Pforte zum Haus. Es wurde langsam
dunkel und wieder setzte leichter Schneefall ein. An der Pforte blieb sie
stehen und sah sich um. Sie sog die kalte Abendluft in ihre Lungen und kam
sich vor wie am anderen Ende der Welt: Hohe, dichte Tannen, ein richtiger
Wald, hinter ihr weite Felder und nicht ein Licht der nahen Stadt.
Unglaublich, das es nur ein paar Stunden entfernt der Großstadt schon
solche ruhigen Flecken geben konnte. Sie kam sich fast vor wie im Gebirge
in Bayern, wo sie einen Teil ihrer Kindheit verbrachte und nicht wie im
Spessart.
Aber daran wollte sie nicht mehr denken, das lag lange zurück und
unter einer Wolke der Dunkelheit und des Vergessens, die sie im Moment
nicht durchdringen wollte.
Kurz sah sie auch das Haus an: alte Bauweise, teilweise eine Art
Fachwerk, teilweise rau verputzt. Es hatte eine grüne Tür im oberen Teil
des Giebels: Wohl eine Art Boden für Heu oder ähnliches. Neben dem Haus
verlief ein kleiner Zaun, ein winziger Garten in dem ebenfalls der Schnee
lag und dann standen schon die hohen und dichten Bäume des Spessarts die
wie eine grüne Wand wirkten. Und immer noch der ewig fallende Schnee. Die
Stille fiel ihr auf. Kein Rauschen der Straße, keine Menschen. Nur der
Wald und der fallende Schnee.
Ein, zwei Augenblicke genoss sie die absolute Ruhe und war eins mit der
Natur rings um sich herum. Der Schneefall wurde dichter und vielleicht
würde er sich bald in Regen wandeln. Aber so lange wollte Jessica nicht
warten. Mit dampfenden Atem und klammen Fingern klingelte sie an der alten
und dunklen Holztür.
Es dauerte. Zuerst hörte sie nur Schritte, dann öffnete sich die Tür
einen Spalt. Das mürrische Gesicht eines sehr alten Mannes erschien.
"Herr Harms?" fragte Jessica und setzte ihr bestes Lächeln
für erste Eindrücke auf. Der Alte sagte kein Wort, sah sie nur an und
überließ ihr wohl das Reden. Er hatte ein markantes Gesicht, tief
liegende blaue Augen und strahlte die Würde des Alters aus.
"Ich bin Jessica Dawning. Vielleicht könnten sie mir
weiterhelfen?" fragte sie flehend und ballte wegen der Kälte in den
Fingern die Fäuste. Immer noch keine Reaktion des Mannes. "Ich
möchte ihnen ein paar Fragen stellen, wenn es ihnen nichts
ausmacht...?".
Inzwischen glaubte sie kaum, das er irgend etwas anderes machen würde
als weiterhin
abzuwarten, was sie wollte. Doch überraschend öffnete er die Tür,
sagte kein Wort sondern drehte sich um und ging hinein. Jessica sah ihn
überrascht nach, zögerte ein wenig und trat dann ein. Sie sah in einen
kleinen Flur. Der Alte verschwand an dessen Ende in einen erhellten Raum.
Jessica hob kurz die Schultern und schloß die Tür hinter sich. Leise
schnappte sie ins Schloss. Nun sah sie sich noch einmal um und fand sich
in einen kleinen, dunklen Flur wieder. Er war bis zur Schulterhöhe mit
dunklen, alten Holz getäfelt, der Rest war eine graue Tapete die
vielleicht einmal Weiß gewesen sein mochte. Auch der Flur wirkte alt, wie
aus einer anderen, längst vergangenen Zeit.
Irgendwo vor ihr leuchtet die Helligkeit eines Wohnzimmers. Der Alte
stand im Lichtschatten und winkte sie heran. "Kommen sie schon,
junges Fräulein..." sagte er mit einer rauen, leisen und seltsam
melodiösen Stimme.
Jessica nickte, auch wenn er das nicht sehen konnte und kam in das
kleine Wohnzimmer in dem er leicht gebückt stand und sie mit müden
Bewegungen hereinwinkte. Jessica ergriff die Initiative: "Ich komme
von einer namhaften Presseagentur und.... Was...?";
Der Alte unterbrach ihre Worte, in dem er nach ihren Mantel griff. Ohne
Worte aber durchaus gewandt half er ihr hinaus. Verdutzt nahm sie die
Umgangsform der alten Schule war. Er deutete auf einen dunklen, alten
Sessel: "nehmen Sie ruhig Platz... " sagte er knapp aber nicht
unfreundlich. Jessica nickte nur und setzte sich.
Sie sah stumm zu, wie er ihren Mantel auf den Flur trug. Schnell sah
sie sich um: gelbe
Tapeten mit einem Rokokomuster, zwei Geweihe an der Wand, dunkle,
schwere Vorhänge vor zwei von außen mit Verschlägen geschlossene
Fenster, rauer Bohlenfussboden mit zwei roten Teppichen, die alt und
verschlissen wirkten, kein Fernseher, zwei große Tische, eine Sitzcouch
aus grünen Stoff, ebenfalls sehr verschlissen. An den Wänden fanden sich
unzählige Regale mit Fotografien und kleinen, geschnitzten Figuren und
Gegenständen. Schritte kamen und der Alte kam zurück. Sie hatte genug
Zeit ihn zu mustern. Dein Alter war scher zu schätzen - aber Jessica nahm
an, das er seinen siebzigsten Geburtstag schon erlebt hatte. Vielleicht
war er auch noch älter. Es war schwer ihn zu schätzen. Er ging langsam
und leicht gebeugt, wirkte sehr zerbrechlich. Er hatte schütteres,
schlohweißes Haar. Seine Nase
war ein wenig zu groß, gab ihm aber irgend wie etwas von einer
römischen Statue und eine unangenehme Strenge, seine Lippen waren schmal.
Weiße Zähne, die echt wirkten, blitzen sie mit einem Lächeln an. Als er
einen anderen Sessel zu ihr schob und sich ächzend setzte, erkannte
Jessica, das er wirklich schöne Augen hatte. Tiefblaue Augen mit einer
seltsamen Tiefe, die sie sofort faszinierte aber plötzlich aus Unbehagen
bereiteten. Sie schienen viel gesehen zu haben und unendliche Geschichten
erzählen zu können. Geschichten aus einer längst vergessene Zeit, aus
einer Jugend, in der noch alles anders war. Lang, lang vor ihrer Zeit.
Jessica war jemand, der den Blickkontakt mit Menschen suchte und in den
Augen lesen konnte. Oft erkannte sie auf dem ersten Blick, wer ein lieber
Mensch war oder nicht. Aber hier gelang ihr das nicht. Und das machte sie
ein wenig unsicher ihm gegenüber. Sie war es gewohnt in den Augen der
Menschen lesen zu können, nicht aber in diesen Fall. "Möchte sie
einen Kaffee oder Tee?" fragte er höflich und holte sie so aus ihren
Gedanken.
Jessica lehnte beides und weitere Angebote nach Kuchen sowie Keksen
dankend ab.
Der Alte Mann lehnte sich schließlich in seinen Sessel zurück und
musterte sie aufmerksam.
Auf einmal fühlte Jessica sich unbehaglich unter seinen Blicken. Sie
schienen ganz durch ihr hindurchzugehen, waren starr auf sie gerichtet und
schienen jede ihrer Regungen aufzunehmen. Seine Augen wirkten so
unglaublich lebendig und es passierte etwas, das sie sehr erstaunte: Sie
wich seinem Blick aus. Selten - oder bisher gar nicht - war dies der Fall
in ihrem Leben gewesen. Meist waren es die anderen Menschen, die ihrer
Sicherheit mit den Blicken auswichen. Oder deren Unehrlichkeit zwang sie
dazu. Aber in diesem Fall war sie selbst es, die den Blickkontakt nicht
aufrecht erhalten konnte. "Ich möchte ihnen ein paar Fragen
stellen...?" sagte sie vorsichtig um wenigstens etwas zu sagen. Der
Alte nickte nur. Stumm. Vielleicht war er nicht gerade redselig. Aber sein
Blick lastete weiter auf ihr und irgendwie war das ein sehr unangenehmes
Gefühl. Ihr fröstelte und sie rieb unbewusst die Hände aneinander
obwohl es durch den nahen Kamin ziemlich warm im Raum war. Irgend etwas
machte sie nervös und tief in ihrem inneren meldete sich eine ihr bisher
unbekannte Stimmung mit warnenden Unterton. Dieses Gefühl war so
bedrückend, das
sie sich kurz räuspern musste. "Kennen sie eine Sofia
Giebel?" fragte sie geradeheraus und bemühte ihr ansonsten
erfolgreiches Lächeln erneut.
Der Alte lachte trocken auf. "Ob ich Sofia kenne? Sicher. Wir
waren einmal gute Freunde...". Er sah sie fragend an. "Was ist
mit ihr?" fragte er dann etwas schneller und beugte sich wieder vor.
Lauernd ? Und wieder dieses seltsame
Blau seiner Augen in das sie sich stumm verlor. Ihr
schwindelte bei dem Blick in seine Augen und sie wandte den Blick ab.
Jessica fröstelte auf einmal erneut, obwohl es in dem kleinen
Wohnzimmer extrem warm war. Schuld war der kleine Kamin, in dem ein Feuer
leise knackend loderte. Sie spürte die Hitze der Flammen auf ihrer Wange
und auf der anderen eine seltsame Kälte. "Nichts. Ich hörte nur sie
sei verschwunden..." sagte sie etwas unsicherer und kam sich ziemlich
töricht vor. Halbsätze, zusammenhanglos und gar nicht nach ihrer Art
verließen ihren Mund. Der Alte machte sie nervös und Jessica konnte
nicht einmal sagen, warum. Aber es gefiel ihr nicht. Sie war sonst auch
nicht der Typ der sich durch jemanden oder etwas nervös machen ließ.
Schon gar nicht von alten, netten Herren, die ihr sogar Kaffee und Kuchen
anboten. "Wer sagt denn so etwas...?" fragte er und schaffte es
erneut sie aus ihren Gedanken zu reißen. Etwas war in dieser Frage
gewesen, irgendwie im Tonfall, eine Nuance der Stimme, die sie aufhorchen
ließ. Er spielte mit ihr und sie spürte das deutlich. Er lehnte sich
langsam im alten Sessel zurück und sah sie immer noch an. Jessica wich
dem Blick erneut unsicher aus. Es gelang ihr einfach nicht, ihm
standzuhalten. Das unangenehme Gefühl ging etwas zurück, verschwand aber
nicht ganz aus ihr. "Die Leute hier erzählen so etwas..."
antwortete Jessica ausweichend und sah zu Boden. "So, die Leute
hier..." meinte der Alte und legte seine Finger zusammen. Sie wirkten
Geschmeidig und gepflegt. Wie die eines Pianisten. Schlank und doch
kräftig. Eigentlich hatte sie noch nie solch gepflegten Hände gesehen
Jessica nickte um ihre eigenen Wort zu bestätigen, riss sich zusammen und
sah wieder auf.
"Ich dachte, sie könnten mir ein bisschen weiterhelfen...? Man
nannte mir ihren Namen". Der Alte sah sie nur stumm an. Wieder
schaffte sie es nicht, dem bohrenden Blick standzuhalten. Jessica
räusperte sich. Ihr Blicke glitten durch das Wohnzimmer. Alte Möbel aus
dunklen Holz, roter Teppich, teure Wandgemälde. Zumindest sahen sie teuer
aus. Jessica hatte keinerlei Ahnung von Kunst. Aber sie wirkten so. Eine
breite Couch, eine große Kommode und ein großer Tisch. Leise tickend
verkündete eine mannshohe Pendeluhr ihr dasein. Zahlreiche Fotos standen
auf unzähligen Regalen und zeigten ihr unbekannte Menschen. Alle Fotos
wirkten alt, waren teilweise vergilbt und in teure Rahmen gesteckt. Es
wahren Dutzende Fotos. Und sie alle zeigten völlig verschiedene Menschen.
Sie blickte wieder den alten Mann an. Er schien sie beobachtet zu haben.
Sicher hatte er das. So lange er mit ihr im Raum war, hatte er sie noch
nie aus den Augen gelassen. "Nettes Wohnzimmer, schön haben sie es
hier!" sagte Jessica nur um wieder irgend etwas zu sagen, vielleicht
doch in ein Gespräch zu kommen.
"Sie sind den weiten Weg aus dem Dorf gekommen, nur um etwas über
die beiden zu
erfahren...?" fragte er. Wieder klang seine Stimme seltsam kühl
und sein Blick brannte auf, ihr. Jessica nickte. "Ich bin
Journalistin für eine große Zeitung. Wir wollten demnächst einen
Artikel über das Dorf schreiben. Vor allem über die vermissten
Kinder...". Der Alte rührte sich immer noch nicht. Nur seine Hände
nahm er herunter. "Ich kenne die drei..." sagte er knapp.
"Tragisch das ganze. Wollen ihren Spaß haben die jungen Burschen und
stürzen die Eltern in Kummer...". Er machte dazu eine weit
ausholende Geste. Täuschte Jessica sich oder triefte die Stimme des Alten
vor seltsamen Zynismus? Und sie hatte deutlich gehört, das er sich in der
Zeitform seiner Aussage vertan hatte. Er sagte „kenne“ nicht „kannte
die drei“. Es musste sein Alter sein, denn ungebildet schien er ihr bei
weitem nicht. "Was wissen sie über den Bauer und Frau Giebel?"
erkundigte Jessica sich erneut und vorsichtig.
Doch der alte Mann lächelte nur. "Ich kannte beide. Das ist
alles. Ihr Verlassen des Dorfes kam für uns alle..., wie soll ich
sagen...". Er schien nach den richtigen Worten zu suchen.
"Überraschend?" fiel sie ihm ins
Wort. Er nickte und seine Stimme klang seltsam kalt. Als spiele er mit
ihr: "Ja, es kam
überraschend für uns...!". Dann beugte er sich vor und musterte
sie genau. "Wie alt sind sie...?" fragte er schnell und
plötzlich. Jessica zuckte zusammen. Die Frage hatte sie überrascht und
sie antwortete fast zu schnell um noch etwas anderes als die Wahrheit zu
sagen: "Achtundzwanzig...". Der Alte lehnte sich in seinen
Sessel zurück und schien zufrieden. Er lächelte. Sein zerfurchtes
Gesicht verzog sich dabei. Doch es war kein angenehmes Lächeln fand
Jessica. Kalt und herzlos. Es berührte nicht die blauen Augen des Mannes.
Ein unangenehmes Lächeln. Jessica zuckte unmerklich zusammen. "Kalte
Augen..." dachte sie und schalt sich sofort eine Närrin.
Sie fragte noch ein paar Dinge, doch der Alte schien nichts mehr zu
wissen. Oder nichts mehr sagen zu wollen? Er wich ihr aus, gab keine
direkten Antworten mehr. Sie spürte, wenn es eine Unterhaltung gegeben
hatte, war diese nun beendet.
Er brachte sie nach ein paar Minuten zur Tür. Neben der Wohnzimmertür
stand ein kleines Regal. Einige Bilder standen darauf. Sie zeigten zwei
Kinder, die auf eine Schaukel saßen. Es waren zwei kleine Kinder. Eines
mit blonden Haaren, das andere mit braunen. Irgend etwas faszinierte sie
an diesem Foto. Jessica konnte nicht sagen, was es war - aber irgend etwas
gab es dort. Die beiden Kinder lachten in die Linse des Fotografen und nun
sie an. "Ihre Kinder...?" fragte sie und fragte sich, was sie an
den Bild störte. Der Alte war erstaunlich schnell bei ihr und kippte das
große Foto auf das Glas. "Ja...!" sagte er nur knapp.
"Irgendwie schon..." Jessica nickte und wunderte sich über
seine Antwort. Vielleicht aber störte sie nur der Gedanke daran, das er
Kinder haben könnte. Enkelkinder vielleicht. Sie lächelte ihn noch
einmal an und ging mit ihm durch den kleinen dunklen Flur. Er folgte ihr
dicht auf und plötzlich war das unangenehme Gefühl wieder da. Ein
Gefühl der Unsicherheit, vielleicht auch Angst. Ein paar Sekunden lang
war es sogar so stark, das sie sich umdrehen wollte und ihn ansehen
musste. Es war, als lauere in ihrem Rücken etwas, das sie anspringen
würde. Jessica beherrschte sich. Es fiel ihr schwer nicht doch einen
Blick zu riskieren. An der Tür drehte sie sich noch einmal herum und
lächelte den Alten zu. Jessica schimpfte innerlich mit sich. Der Besuch
schien ihr wohl unangenehmer als sie sich selbst
eingestehen wollte. Aber es war eben nur ein alter Mann.
Sie hielt ihm die Hand hin doch er schlug nicht ein. "Nun, dann
noch einmal Danke für
alles..." sagte sie und bemühte sich redlich um ein Lächeln.
Doch da war nur sein Lächeln vor ihr. Und seine beiden Augen, die sie
wieder musterten. Er hob seine rechte Hand und fuhr damit durch ihr
rückenlanges, blondes Haar. "Schönes Haar..." sprach er leise.
"Wie Seide fühlt es sich an...". Jessica lächelte etwas
unsicher zurück und war froh als er ihr Haar entließ. Fast war ihr als
ekele sie sich vor dem Alten und sie konnte mit dieser Geste im Moment
nichts anfangen...
Doch der stand nur da wie eben ein alter Mann stand und lächelte sie
an. Doch irgendwie erreichte das Lächeln nicht seine Augen. Die wirkten
immer noch unangenehm wie zwei Steine. "Vielleicht erinnere ich ihn
auch nur an jemanden den er kannte? Vielleicht an jemanden, den er
liebte?" fragte sie sich in Gedanken. Also hob sie nur die Hand und
winkte. Der Alte nickte nur. "Fahren sie vorsichtig..." sprach
er mit seiner unangenehmen Stimme. "Der Schnee kann tückisch
sein...!".
War da wieder diese seltsame Ironie? Jessica lächelte und drehte sich
zum Wagen um.
Da war es wieder! Dieses Gefühl in ihren Rücken. Stark, mächtig...
Auf den Absätzen drehte sie sich herum und sah erschrocken den alten
Mann an.
Doch der stand unverändert in der halbgeöffneten Haustür und blickte
sie an. "Ist noch etwas, junges Fräulein...?" fragte er und
lächelte. Das Lächeln kam ihr vor, als wüsste er mehr, als spüre er,
was sie fühlte und als freue er sich darüber. Und wieder schien seine
Stimme vor Ironie nur so zu tropfen. Und genau das machte ihr plötzlich
Angst...! Jessica schüttelte den Kopf. Etwas zu schnell. Haare fielen ihr
ins Gesicht. Mit einer fahrigen Bewegung wischte sie diese zur Seite.
"Danke noch einmal..." sagte sie nur und beeilte sich zum
Wagen zu kommen. Sie fror im immer mehr und ließ den Motor an. Doch es
würde dauern bis die Wärme der Heizung ihr helfen würde. Wenn
überhaupt. Sie fror so stark, das ihr Körper sich schüttelte und die
Zähne aufeinanderschlugen. Im Innenspiegel erkannte sie, wie blass sie
war. Fühlte sie sich nicht gut? Sie sah das Blau ihrer Augen und wurde an
das Blau seiner Augen erinnert. Ein Blau, das sie irgendwie zugleich
abgestoßen und angezogen hatte. Schnell schloss sie die Augen und das
Bild des Alten verschwand.
Langsam fuhr sie an und wendete. Ihr Blick glitt durch den dunklen
Abend zum Haus zurück. Nicht mehr lange und es würde dunkel sein. Die
Haustür stand immer noch offen. In ihrer Mitte der Alte Mann. Seine
Silhouette huschte kurz über die Mauer des Hauses. Verzerrt, und
unheimlich. Er wirkte irgendwie anders als noch vor Minuten aber sie
konnte nicht sagen warum. Sie wollte nur hier weg. Etwas zog sie fast von
dem Haus in den Ort. Jessica gab Gas und fuhr in die Stadt.
In ihrer Pension spürte sie die ersten Anzeichen der herannahenden
Erkältung kommen: Leichte Kopfschmerzen, Übelkeit, Mattheit. Dennoch
schleppte sie sich in den Flur zum Telefon. Sie rief die Zentrale an und
hatte Glück. Es war kurz nach siebzehn Uhr, aber das Büro ihres
Redakteurs war noch besetzt. Sie kündigte ihre Rückkehr am morgigen Tag
an und erhielt ein "Endlich..." zur Antwort. Sie wurde gefragt,
ob es neues gäbe, vielleicht doch Hinweise auf ein verbrechen oder andere
Hintergründe des Verschwindens der drei. Müde verneinte Jessica alle
Fragen und war froh auflegen zu können. Sie fühlte sich Müde und
ausgelaugt und wusste nicht einmal woher. Es musste die nahende Erkältung
kommen. Und das die kommen würde hatte sie schon länger geahnt. |