Der Alptraum...

 

Wankend kam sie aus dem Haus. Der Regen hatte sich in kalten Schnee verwandelt. Doch

Jessica fror nicht mehr. Sie fühlte sich matt und ausgelaugt. Sie wagte nicht zu spekulieren,

wie lange sie sich noch auf den Beinen halten konnte. Ihre Haut glühte vom ersten Fieber.

Immer noch nicht wusste sie, wie spät es war und wie lange sie in der absoluten Dunkelheit

verbracht hatte. Aber es mussten Stunden gewesen sein...

Da war er wieder! Direkt vor ihr. Nicht einmal drei Meter entfernt. In seiner Hand hielt er den

Schürhaken.

"Unmöglich..." stotterte sie.

"Du bist tot..." flüsterte sie.

Er kam auf sie zu. Einen Schritt. Einen weiteren.

"Tot..." schrie sie ihn an und ballte die Fäuste.

Er lachte nur als er zuschlug. Für Jessica ging die Welt leise in totaler Dunkelheit unter...

*

Bitterer Geschmack auf der Zunge weckte sie. Übelkeit war in ihr und überall der Geruch von

erbrochenem. Sie lag auf den Rücken. Unter ihr etwas kaltes, hartes. Boden. Steinboden.

Jessica öffnete die Augen.

Licht!

Sie erkannte etwas über sich und es dauerte, bis sie darin eine steinerne Decke erkannte. Sie

wollte sich bewegen, nach dem schmerzenden Zentrum greifen, das einmal ihr Kopf gewesen

war. Doch Jessicas Hände ließen sich kaum bewegen. Sie waren gefesselt. Sofort kam die

Angst wieder. Ein Gefühl das sie durchschüttelte und schreien ließ. Bis sie sich wieder

beruhigte. Sie schien auf einen Tisch zu liegen. Übelkeit wallte in ihr hoch, ihr Körper

rebellierte, dunkle Schleier tanzten vor ihren Augen und wieder umfing sie eine Ohnmacht.

Ihr Körper gab einfach auf...

Irgendwann war sie wieder bei Sinnen. Es hatte lange gedauert, bis sich die ersten Gedanken

gefunden hatten. Starker Schwindel und Übelkeit plagten sie.

Mühsam richtete sie den Oberkörper auf und sah auf einen langen Gang mit zahlreichen

Nischen. Doch zum Glück verloren sich diese in der Dunkelheit denn das Licht der Lampe

neben sich reichte nicht weit genug um diese zu erhellen. Zum Glück. Sie wusste, wo sie

sich befand...

Dann wieder diese fremde, tiefe Stimme aus der Dunkelheit.

"Wach geworden...?".

Welche überflüssige Frage. Sie blickte sich um. Sogar die Füße waren gefesselt. Neben ihr

wuchs ein Schatten in die Höhe. Der Alte. Sie sah ihn an und sogar das Drehen ihres Kopfes

bereitete unsagbare Schmerzen.

"Überrascht...?" fragte er leise und seine Stimme klang unglaublich tief, schien auf einmal gar

nicht mehr von ihm selber zu kommen und vielleicht hatte sie das in solchen Momenten auch

niemals getan...

Jessicas Mundwinkel zuckten.

Er lachte nur. "Ich sagte doch, ich bin ein Sammler...". Er deutete zurück. "Gefallen sie

dir...?" fragte er noch einmal und deutete hinter sich zurück in den Gang. Dann blickte er sie

wieder an. Das diabolische Lächeln auf seinen Lippen war verschwunden und das machte ihr

noch mehr Angst.

Obwohl Jessica nichts davon sehen konnte stiegen Bilder vor ihr auf. Bilder der

unglücklichen in den Gefäßen. Sie schüttelte sich. Er lachte wieder. "Diese Glasröhren sind

schon wahre Wunder. Luftdicht! Solange kein neuer Sauerstoff hinzukommt, bleibt der Inhalt

gut erhalten...". Seine Stimme tropfte von Ironie und Boshaftigkeit. Er kicherte wie irre. Aber

es war ein tiefes, drohendes Lachen, das von überall her erschallte.

Jessica schluchzte auf.

Er fuhr durch ihre Haare. "Nicht mehr lange, junges Fräulein, dann sind sie ohne Sorgen und

das neueste Schmuckstück meiner Sammlung...".

Die absolute Sicherheit in seiner Stimme ließ die Angst in ihr erneut Oberhand gewinnen:

Jessica rüttelte schreiend an den Fesseln. Doch die hielten. Unsanft stieß er sie zurück in die

liegende Position. "Ich muss schon sagen, selten hat mir ein Sammelstück so viele Probleme

bereitet wie Du...!". Sie schwieg aber ihre Mundwinkel zuckten. Er blickte sie ganz kurz an

und sein Blick war immer noch so unangenehm und schien sie zu durchdringen.

"Sie sind Krank...!" schrie sie nach ein paar Augenblicken und schüttelte sich. Schmerz wallte

in ihr hoch und sie blieb ermattet liegen.

Der Alte lachte wieder. Seine Hand strich wieder über ihre Haare. "Wie schön seiden sie sind.

Du wirst genau in meine Sammlung passen...". Er wirkte wie verliebt als er sie so betrachtete.

Eben genau wie ein Sammler, der ein besonders seltenes und kostbares Stück begutachtet.

Jessica erbebte. Der Alte wollte sie in den Reigen der Stummen Wächter dieses Ganges

einreihen. Sie biss sich auf die Lippen und schmeckte Blut. Sie spuckte es ihm in das Gesicht.

Ganz kurz nur verzog er es in einer Reaktion. Es verzerrte sich so bösartig, so fremd, das

Jessica für Sekunden die Luft anhielt. Dann aber glättete es sich und wurde ausdruckslos wie

immer. Für ein, zwei Sekunden hatte sie etwas gesehen, das sie nicht begreifen konnte. Etwas

verzerrtes, groteskes, das kein Mensch mehr gewesen war. Nicht nur Einbildung gaukelte ihr

dieses vor, da war etwas so fremdes in seinem Gesicht gewesen, das ihr Verstand sich

weigerte, das zu erkennen...

Für einen kurzen Moment verschwand der Schatten des Alten. Als er wieder kam hatte er ein

Tuch und eine braune, kleine Flasche in der Hand. Jessicas Angst wurde Stärker. Ihr Körper

ahnte, es ging um ihr Leben.

Dennoch brachte sie mühsam einen Satz zustande...

"Was haben sie vor...?" fragte sie mit Zittern in der Stimme. Sie versuchte gar nicht erst es zu

verbergen. Sie hatte Angst und konnte diese kaum noch im Zaun halten. Irgend etwas ging

von dem Alten aus, das sie nicht einordnen konnte. Außerdem hatte ihr logischer und rational

denkender Verstand erhebliche Probleme damit, das der Alte unversehrt vor ihr stand.

Eigentlich hätte er tot auf den Boden seines Wohnzimmers liegen müssen. Es war als drifte

ihr Verstand alle Augenblicke in den Wahnsinn ab, lethargische Augenblicke, die immer

länger wurden.

"Keine Angst. Du wirst nicht davon sterben..." sagte er nur. "Es wird dich betäuben. Wenn Du

wieder zu Dir kommst, ist alles vorbei. Das heißt, wenn Du wieder zu dir kommst...". Er

lächelte sie kalt an. "Doch noch ist es nicht so weit. Später...".

Du hast Glück. Die Prozedur einen Körper in das Glas zu bekommen dauert. Und ich muss

erst noch Deinen Wagen loswerden. Wir wollen doch nicht, das ihn noch jemand findet und

sich dann Gedanken macht, oder...".

Das "du" in seinen Worten machte ihr noch mehr Angst. Ohne einen weiteren Laut zog er sich

zurück und blieb verschwunden. Dann ging das Licht aus. Zurück blieb Jessica auf ihrer

Bahre oder dem Tisch. Umgeben von Toten, aufgestellt von einen perversen die sie dazu

reihen wollte. Ihr Geist war nur hauchdünn davon entfernt sie tief in den Wahnsinn zu

treiben...

Die Dunkelheit brach wie ein bedrückender Mantel über ihren geschundenen Geist zusammen

und für ein paar Augenblicke war sie nur ein schreiendes, heulendes Häufchen Elend, das

zusammenbrach. Und erst viel, viel später, als ihr Körper und Geist gemeinsam keine Kraft

mehr hatten, kam die Realität zurück...

Zeit verging. Minuten, Augenblicke, Stunden. Jessica spürte neue Schmerzen. Der Rücken tat

von liegen weh, die Arme schmerzten und die Fesseln brannten an den Händen. Und erneut

fror sie. Der Alte hatte ihren Mantel ausgezogen. Zum Glück trug sie einen

Rollkragenpullover. Doch der half nichts gegen die Panik in ihr. Sie hatte Mühe auch nur

ansatzweise klare Gedanken zu fassen. Die letzten Stunden in Horror und Schmerz forderten

ihren Tribut.

Jessica hatte sich sogar wieder erbrochen. Sauer lag der Geruch in der Luft. Hinzu kam

wieder diese verfluchte Dunkelheit. Und ihre Gedanken, die ihr Geräusche und Stimmen

vorgaukelten. Sie glaubte sogar ein paar Mal zu antworten. Doch dann war es nur still. Bis aus

ihr schluchzen und beben. Gedanken rasten durch ihren Kopf.

Freunde, Familie. Ihre Eltern.

Jessica weinte.

Irgendwann versuchte sie sich aufzurichten. Doch starke Stricke hielten ihren Bauch an der

Unterlage. Sie schrie wieder ein paar Minuten. Doch es kam keine Reaktion. Dann rief sie um

Hilfe. Wieder Stille. Aus der Angst wurde Resignation. Aus Resignation wurde Wut.

Wut, die sie antrieb.

Sie war eingeschlafen und erwachte irgendwann. Was hatte sie geweckt? Umtanzte sie da

jemand? Die Toten? Waren sie gekommen, um sie zu begrüßen und in ihren Reigen

aufzunehmen?

Jessica konnte nicht einmal mehr weinen. Doch der neue Anfall von Panik dauerte nur

Minuten. Als die Panik sich legte atmete sie ein paar Mal tief durch. Und tatsächlich blieben

Geräusche und Gestalten verschwunden.

Das änderte nichts an ihrer Lage. Sie musste hier heraus und hatte keine Lust als weiteres

Objekt in einen dieser Glasbehälter zu enden. Jessica zerrte an ihren Fesseln. Doch die

hielten. Ihr Bauch war umschnürt, ihre Hände unter dem Rücken ebenfalls. Längst schon

spürte sie ihre Finger nicht mehr und konnte sie auch nicht bewegen. Da war nur tumber

Schmerz, unterbrochen von dem Pochen des Blutes. Sie hatte Angst, das ihre Arme absterben

würden und zwang sich in nicht schätzbaren Abständen sich zu bewegen.

Sie zog ihren Oberkörper in die Höhe, fiel dann aber wieder Matt zurück. Unsanft landete ihr

Kopf auf der Unterlage. Sofort tanzten wieder bunte Sterne um ihren Kopf. Schwindel und

Übelkeit folgten als nächstes.

Panik wollte wiederkommen, doch Jessica verbot ihren Körper über diesen Alptraum

nachzudenken. Sie verdrängte, wo sie war und was passieren würde. Noch lag sie hier und

wartete. Sie kannte den Grund nicht aber der Gedanke daran, dies könnten ihre letzten

Minuten oder Augenblicke sein, machten sie fast verrückt. Jede Sekunde konnte das Licht

angehen, jede Sekunde konnte ER erscheinen. Um sie zu betäuben und in eine von dieses

Glastruhen zu stellen. Wie einen Schmetterling. Einen Schmetterling mit blonden, seidigen

Haaren die ihm so sehr gefielen.

Was sagte er, war er. Ein "Sammler"?

Wenn sie nur wüsste, was er damit meinte?!

Jessica war froh, das die logischen Gedankengänge zurückkehrten.

Es konnte unmöglich sein, das alle Fotos oben in den Räumen hier als Leichen standen.

Irgend jemand musste die fehlenden Personen doch vermissen. Das musste doch auffallen. Sie

hatte beim zerstören der Bilder an die hundert Stück gezählt. Der Alte müsste die Hälfte des

Dorfes dezimiert haben.

Sie verwarf die Gedanken. Das brachte sie nicht weiter. Außerdem musste sie davon

ausgehen, das der Alte jeden Moment wiederkommen konnte. Und wenn sie dann noch hier

lag war es um sie geschehen. Sie genoss die Schärfe ihres Verstandes und hätte fast jubeln

können, als de Gedankengänge wieder arbeiteten. Überlegen hielt den Wahnsinn und die

Panik von ihr fern. Und das war gut so!

Kurz dachte sie zurück. Wie hatte der Mann nur den Schlag mit den Brecheisen überstehen

können? Sie hatte das Geräusch seines Schädels deutlich gehört, als das Metall auf ihn traf.

Unmöglich!

Jessica bäumte sich auf. Dann sammelte sie sich wieder und legte alles in einen letzten

Versuch. Nichts. Nur die Fesseln waren ein Stück in die Höhe gerutscht. So kam sie nicht

weiter. Aber sie hatte eine Idee. Vielleicht war sie geschrumpft oder der Alte hatte nicht gut

genug festgezurrt. Als sie sich sanft bewegte und mühte nach oben zu rutschen, blieben die

Fesseln an ihrer Stelle. Jessica schrie freudig auf. Dann machte sie weiter. Minuten später

stand sie trotz der kühle unter Schweiß. Bis zu den Oberschenkeln hatte sie die Fesseln

gebracht als sie sich schließlich aufsetzte. Der Rücken schmerzte und wollte den Dienst

verweigern. Doch Jessica zwang sich weiter. Bis sie saß. Wie sie vermutet hatte, waren die

Rückenfesseln nicht an die anderen gebunden.

Zum Glück!

Also mühte sie sich weiter. Bis ihr Oberkörper über der Oberkante des Tisches ragte und die

Fesseln ihre Knie erreichten. Die Gelenke knackten und schmerzten, als sie die Beine unter

den Fesseln hervorzog. Dann fiel sie hinten über. Jessica hatte einfach nicht mehr die Balance

halten können. Doch der Sturz war nicht tief. Sie prallte sogar auf den Knien auf. Der

Schmerz war höllisch aber nur ein neuer unter vielen anderen. Leise heulte sie vor Freude auf.

Für einen kurzen Moment schien ihr Kopf vor Freude zu zerspringen. Sie lachte und fühlte

sich frei. Erst Augenblicke später kam sie zu der Realität zurück. Hinter ihren Rücken spürte

sie wieder eine Mauer. Wohl das Ende des Ganges. Es war Erdreich. Abgestützt durch Holz.

Keine Steine. Wohl weil er noch weitergraben wollte.

"Für neue Opfer vielleicht?"

Jessica zwang sich in die Höhe. "Mit mir nicht du alter Mistbock...!" fluchte sie und musste

dann wieder hysterisch über ihre Worte lachen. Panik, Angst, Wahnsinn und geregeltes

Denken wechselten sich immer wieder bei ihr ab und äußerten sich auf verschiedene Art und

Weise.

Unsicher trat sie einen Schritt nach vorne und prallte in der Dunkelheit gegen etwas. Sie

schrie überrascht auf. Doch der Gegner blieb schwankend und zu schmal für einen Körper.

Sie drehte sich und tastete ihn ab. Die Lampe. Sie fand sogar den Schalter. Als es hell wurde

jauchzte sie das zweite Mal auf. Sie hatte sogar Strom. Welch komfortables Gefängnis! Sie

musste lachen über diesen Gedanken obwohl sie vor Angst und Kälte kaum ihre Hände ruhig

halten konnte.

Und welch illustre Gesellschaft. Jessica lachte leise und abgehackt über ihre Worte und

verstummte dann als sie bemerkte, wie sie sich benahm. Langsam schien sie ihren Verstand

zu verlieren und das steigerte die massive Angst in ihr fast noch. Mühsam kämpfte sie die

Panik nieder. Sie spürte trotzt aller Kälte den Schweiß auf Stirn und Körper.

Sie sah sich um. Aber es war nur der hölzerne Tisch, der lange Gang und die zahlreichen

Nischen. Nischen in denen etwas lauerte, das sie nicht näher kennen lernen wollte. Undeutlich

sah sie wieder die Toten Augen im Geist vor sich. Jessica schüttelte sich. Aber sie musste aus

dem Gefängnis. Schnell. Doch da war nur der Tisch, auf den Boden ein langes Kabel das für

die Lampe den Strom lieferte. Und die Lampe war einfach: Eine hohe, uralte Stehlampe,

bereits ohne Schirm. Nur die nackte Birne erhellte die Steine an den Wänden. Nichts weiter.

Irgend etwas aber in ihr trieb sie zur Eile. Es half nichts. Sie trat langsam in den Gang. Die

erste Nische rückte näher. Sie sah hinein und schnell wieder geradeaus. Der Behälter war

besetzt gewesen. Das reichte ihr. Mehr wollte sie nicht wissen. Die nächste Nische war heran.

Jessica sah hinein, hielt den Blick aber gesenkt. Sie sah das Holzpodest und das goldene

Schild daran. Kleine Lettern, mit einer Schreibmaschine auf vergilbten Papier geschrieben

standen dort zu lesen:

Anna Maria Ernst, 1930

Sie sah etwas höher. Schwarze Stiefel, blaues Kleid. Es sah brüchig aus. Aber dennoch

unverkennbar alter, grober Stoff. Jessica sah noch einmal auf das Datum. Sie irrte sich nicht.

Die nächste Nische.

Thomas Hansen, Hamburg, 1889

Das war Wahnsinn. Sie sah nur so weit hoch, das sie braunes Leinen und dunkelbraune

Reitstiefel erkennen konnte. Langsam trat sie wieder in den Gang. Ihre Gedanken rasten. Das

waren keine Kostüme. Das war alles echt. Auch wenn ihr analytischer Verstand gegen diese

Idee Sturm rannte. Da war etwas in ihr, das auf einmal wusste. Der Alte, die Angst, wenn er

in ihrer Nähe war. Der Tot, der doch keiner war. Seine Lautlosigkeit...

Jessica lehnte sich gegen eine der kühlen Wände. Wo war sie hier hineingeraten. Wer war der

Alte wirklich. Oder WAS war er. Erinnerungen an alte Horror-Filme mit Vincent Price fielen

ihr ein.

So etwas gab es nicht. So etwas durfte es nicht geben. Ihr ganzer Verstand, ihr ganzes Wissen,

alles in ihr bäumte sich dagegen auf. Wie auch immer. Sie zweifelte nicht daran, das die

Schilder falsch waren oder die Kleidung Kostüme. Auch wenn sie es gerne würde. Noch vor

Stunden hätte Jessica so einen Gedanken nicht einmal zu Ende gedacht. Doch nun hatte sie

ein wahres Martyrium hinter sich. Und das Wissen um den Alten, der den Hieb mit den

Brecheisen ohne Schaden überstanden hatte. Wer immer der Alte war. Er war gefährlicher als

sie auch nur andeutungsweise angenommen hatte. Zumindest das wusste sie mit Sicherheit.

Was auch immer er war...

Das brachte sie aber immer noch nicht aus den Fesseln oder diesem Gewölbe heraus. Doch sie

war bereits am äußersten Rand des Lampenscheines und in die Dunkelheit traute sie sich

nicht. Statt dessen suchte sie sich eine Nische. Sie schloß die Augen, als sie sich mit den

Rücken zur Kante der Nische drehte. Sie hatte rechte gehabt. Die Winkel waren absolut

rechteckig und ebenfalls mit Naturstein gesetzt oder gemauert. Wenn sie schon die Fesseln

nicht abbekam, so konnte sie zumindest versuchen sie zu trennen. Sie positionierte sich

genauer und rieb das Stück zwischen den Handgelenken an der Mauer. Es war festes Seil, also

dauerte ihr Vorhaben eine ganze Zeit. Zuerst schmerzten die Handgelenke als die Fesseln

darüber rieben. Denn Jessica musste die Fesseln stramm ziehen. Dann brannten sie,

schließlich spürte sie Blut. Aber endlich rissen die Fesseln. Ein Laut der Freude entfuhr ihr

und hallte wieder. Kurz öffnete sie die Augen und sah wieder diese Gefäße und verkrümmte

Gestalten darin. Schnell wandte sie sich ab. Immerhin war sie frei. Wenn es ihr körperlich

auch nicht besonders ging. Hunger und Durst waren vorhanden und wurden schlimmer.

Schmerzen und Übelkeit plagten sie zusätzlich. Aber sie war frei und ihr Wille zwang den

Körper unter sich. Zumindest in diesen Augenblicken noch.

Also ging sie zum Tisch, atmete tief durch und griff sich die Lampe. Mit ihr ging sie den Weg

des Ganges zurück. Ab und an schlug der metallene Boden der Lampe auf. Immer dann, wenn

sie ihn nicht mehr halten konnte. Das Geräusch klang hohl durch den Gang. Es dauerte bis sie

dessen Ende erreichte. Alle Nischen lagen sich immer parallel gegenüber. Und sie hatte über

50 von ihnen gezählt. Das machte hundert dieser Glasbehälter. Und hundert von Opfern.

Wenn alle Nischen belegt waren und sie zweifelte nicht daran...

Dies hier war ein reines Horrorkabinett. Und obwohl sie es nicht wollte, sah sie doch immer

wieder auf die hölzernen Podeste, auf denen die Glasbehälter mit ihrem grauenhaften Inhalt

standen, aufgereiht in diesem Gang des Schreckens. Jessica hielt ihre Augen gesenkt und doch

las sie einige der vergilbten Schilder aus Papier an den hölzernen Podesten der gläsernen

Behälter. Namen und Jahreszahlen, manchmal Namen von Orten und Städten. Jahreszahlen

aus diesem Jahrhundert und noch ein paar ältere. Rechnerisch kaum glaubhaft.

Und über allem lag dieser strenge, stickige Geruch. Auch wenn diese Behältnisse Luftdicht

abschlossen, so lag doch der Geruch des Todes in dem schmalen Gang und hatte die junge

Frau umfangen.

Nach Minuten stand sie vor der Tür. Der zurückgelegte Weg musste über zweihundert Meter

betragen haben. Zweihundert Meter, die irgendwann ausgehoben und mit Steinen vermauert

wurden sein mussten. Steine, die so dicht zusammen standen, das kaum Mörtel oder andere

vonnöten gewesen war. Es musste Jahre gedauert haben, dies zu bewerkstelligen. Wenn nicht

Jahrzehnte. Jessica wurde das Gefühl nicht los, das Zeit für den Alten kaum eine Rolle spielte.

Es war verrückt, aber wenn sie annahm, er hatte alle Opfer selber in die Falle gelotst, dann

musste er eine ganze Weile am Werk sein. Eine Ganze Weile länger, als es eigentlich möglich

war...

Und nun stand sie vor dem Ende des Ganges von dem sie wusste, das es eine Tür war. Sie

hatte auf ein sichtbares Zeichen gehofft ihn zu öffnen. Doch sie fand keinen Hebel. Wieder

leichte Angst. Wenn sie Pech hatte war die Tür nur von außen zu öffnen. Doch das hoffte sie

nicht. Und sie wurde nicht enttäuscht. Einer der Steine fühlte sich anders an. Er war aus

Metall. Sie drückte und tatsächlich gab es ein leises, summendes Geräusch. Als würden

Generatoren anlaufen. Oder Motoren. Und die Tür schwang auf. Eigentlich war es die ganze

Wand, die zur Seite schwang. Jessica jubelte lautlos auf und biss in ihren Handballen um das

Geräusch zu unterdrücken. Dann löschte sie die Lampe. Die Wand war nur einen Spalt breit

aufgeschwungen. Aber breit genug um sie hindurch zu lassen. Schnell schlüpfte sie hindurch

und blieb stehen. Das Licht der Lampe blieb hinter ihr zurück.

Aufregung drängte alles andere zur Seite, so weit es ging. Ihr Herz pumpte und ihr Magen

drückte. Aber Schmerz und Müdigkeit waren fast wie weggewischt. Jetzt zählte es

herauszubekommen. Sie wusste immer noch nicht, warum der Alte sie so lange alleine ließ

aber das war ihre Chance. Vielleicht ihre einzige. Und die wollte sie nutzen!

Sie stand in dem fast leeren, quadratischen Vorkeller und hatte endlich die verdammte Gruft

im Rücken.

Sie lauschte.

Stille...

Aber bisher hatte sie den unheimlichen nie gehört!

Und weiter herumstehen wollte Jessica auch nicht. Also schlich sie die Treppe hinauf. Vor der

dunklen Holztür blieb sie stehen. Leise drückte Jessica die Klinke herunter. Die Tür war

offen. Sie knarrte nicht. Wie keine der Türen. Überhaupt schien hier immer eine gewisse

Lautlosigkeit zu herrschen.

Dann war sie im Flur. Es war dunkel draußen. Es konnte Nacht, Abend oder Morgen sein, ihr

Körper hatte jegliches Gefühl für Zeit verloren. So leise es ging, schritt sie zur Ausgangstür.

Dann verharrte sie und sah nur durch das kleine Fenster nach draußen. Jessica fror, konnte

sich kaum noch auf den Beinen halten. Schmerz war wieder in ihr und zog erneut langsam

durch ihren ganzen Körper. Aber dann sah sie sich um. Ihr Blick traf die Tür des

Wohnzimmers. Sie war angelehnt. Dahinter war es dunkel. Das heißt fast dunkel. Nur das

flackern des Kaminfeuers erhellte den Türrahmen und ließ dort hinten ein paar der Schatten

des Flures heller erscheinen. Ein böses Lächeln umspielte Jessicas Gesicht. Sie wusste, ein

weiteres Treffen mit dem Alten würde sie kaum überstehen. Und doch war der Zwang

übermächtig das zu tun, was ihr in diesen Sekunden durch den Kopf schwirrte. Lautlos tat sie

einen Schritt vor den anderen. Sie machte sogar einen Ausfallschritt als sie an der anderen Tür

ankam. Diesmal knarrten die Dielen nicht. Leise lachte sie wieder das seltsame Lachen der

letzten Zeit. Wie gut sie sich hier schon auskannte.

Jessica wusste nicht, wie viel Zeit ihr noch blieb aber sie musste handeln. Ihr Wagen war

verschwunden und sie wusste nicht wo er war. Und nur in den Pullover durch die Kälte

zurück zu dem Dorf, das wollte sie nicht riskieren. Nicht in ihrer Verfassung. Sie glaubte

nicht, das sie das durchstehen würde.

Und so stand sie hier in den Wohnzimmer und dachte daran, was unter ihr lag. Welche

Schrecken dort hausten und wie nah sie dran war ebenfalls dorthin zu verschwinden.

Vielleicht wie viele der anderen Opfer vor ihr. Sie wusste immer noch nicht, wer oder was der

Alte war. Aber sie klammerte diesen Teil der Überlegungen aus ihren Gedanken aus. Darüber

konnte sie später nachdenken.

Wenn es denn ein später gab...!

Jessica holte tief Luft und sah sich um. Das Kaminfeuer erhellte das Wohnzimmer. Es brannte

kaum noch. Doch es reichte um das viele Holz, den schweren Teppich und die alten Möbel zu

erkennen. Das Lächeln um ihre Mundwinkel wurde eine Spur stärker. Vielleicht gab es doch

eine Chance es diesem Bastard heimzuzahlen. Sie ging zum Feuer und ballte die Fäuste. Ein

Zittern durchlief sie. Vielleicht Vorfreude auf kommendes..

Dann bückte sie sich langsam und unter Schmerzen, griff zu dem Buch, das auf dem Tisch

lag. Es war ein alter Foliant mit braunen Lederumschlag und goldener Schrift. Sie erkannte

nicht, was darauf stand. Aber das war auch unwichtig. Viel wichtiger waren die Seiten in dem

Buch. Sie riss einen dicken Stapel heraus und hielt ihn hoch. Sekundenlang betrachtete sie

ihn. Lächelnd hielt sie die Seiten hoch und hielt sie in das kleine Feuer. Sie fingen sofort an

zu brennen. Jessica wartete noch, wollte ganz sicher gehen und sah dem brennenden Papier zu

wie es loderte. Erst als es ihre Hände fast berührte drehte sie sich und ließ die brennenden

Seiten auf die Couch fallen.

Sie segelten fast anmutig durch die Luft, ehe sie auf den Stoff landeten. Doch die Couch fing

kein Feuer. Es roch verbrannt und seltsam aber der Stoff fing kein Feuer.

Weitere Seiten aus dem Buch halfen nach. Diesmal bückte Jessica sich, hielt das brennende

Papier unter die Couch. Goldene Fransen des Stoffes fingen rauchend und stinkend Feuer. Sie

lachte leise als die Couch anfing zu brennen. Weiteres Papier landete im Zimmer. Mehr und

mehr. Jessica hatte kaum noch Kraft die Seiten aus dem Buch zu reißen, als die Wände und

der Teppich Feuer fingen. Hitze schlug ihr von den ersten, hohen Flammen entgegen. Jessica

entzündete weitere Seiten des Buches und drehte sich herum. Der Alte war immer noch nicht

da. Aber wenn er sich irgend wo im Haus oder im Umkreis aufhielt würde er kommen.

Die Flammen waren in der Dunkelheit nicht zu übersehen. Vielleicht würden sie als Mahnmal

wie eine Fackel in der Dunkelheit zum Dorf leuchten. Vielleicht würden sie auch endlich

Hilfe herbeirufen und diesen unendlich wirkenden Alptraum beenden...

Sie hielt weitere Papierseiten an die Gardinen. Sofort leckten Flammen in die Höhe. Die

Tapete fing Feuer und brannte. Das Zimmer war alt und das war ideal. Dann ein Knacken

neben ihr. Ein Teil der Tapete wölbte sich auf einmal, wurde schwarz, warf Blasen und

platzte von der Wand ab. Hohe Flammen schlugen dahinter hervor. Heiß und gefährlich.

Jessica wich zurück und betrachtete ihr Werk. Das Zimmer brannte lichterloh: Die Couch, die

halbe Wand, das Fenster, der größte Teil des Teppichs, Der Tisch, der darauf stand. Und die

Hitze wurde größer. Doch Jessica nahm sich Zeit. Jetzt war eh alles egal. Sie glaubte nicht,

das der Alte dieses Feuer noch stoppen konnte. Das konnte niemand!

Nicht einmal er!

Die letzten Seiten des Buches entzündete sie an dem brennenden Tisch. Mit ihnen in der Hand

trat sie zu den Regalen mit den Fotos. Es war unbehandeltes, raues Holz. Und es fing Feuer,

noch ehe die Seiten zu ihren Händen abbrannten.

Rückwärts taumelte Jessica in den Flur. Heißer Atem schlug ihr aus dem Wohnzimmer

entgegen. Der Rauch wurde dicker, nahm ihr den Atem, und die Sicht. Ein helles Klirren

durchbrach das Knacken. Das musste die Scheibe des Fensters gewesen sein. Jessica schrie in

die Flammen, die nun auch auf den Flur traten und gierig über das Holz leckten. Ja, das war

genau das, was sie wollte.

"Brenne...!" schrie sie in die Flammen und wünschte den Alten hinein.

Vielleicht konnte sie den Alten nicht verletzen. Aber sie konnte ihn verdammt noch einmal

dieses Haus abbrennen. Und wie es brannte! Das Feuer breitete sich schnell in den Flur aus.

Sie hatte keine Ahnung von so etwas aber die Bausubstanz war größten Teiles Holz. Altes

Holz. Alt und Trocken.

Ideales Nährfutter für den verzehrenden Hunger der Flammen....

Jessica wich weiter zurück. In ihren Händen immer noch die leeren Buchhüllen. Angeekelt

schleuderte sie diese von sich, hinein in das Feuer des Wohnzimmers. Ihr Rücken berührte die

Eingangstür. Zitternd fanden ihre Hände die Klinke. Dann war sie draußen. Hinter ihr knackte

und schrie das Feuer. Kalte Luft jagte in das Haus, Flammen überschlugen sich und fraßen

sich immer weiter in das trockene Holz von Wänden, Boden und Möbeln. Jessica stand im

Freien, hatte die Arme um den Körper gelegt und sah ein helles Flackern vor sich. Noch war

der größte Teil des Hauses vor ihr dunkel und still. Das änderte sich in wenigen Minuten.

Stumm stand sie nur da und sah dem Schauspiel der verzehrenden Flammen zu. Bis aus den

oberen Stock Feuer loderte. Leise schrie sie vor Genugtuung auf und hörte einen weiteren

Schrei. Laut und unmenschlich. Er kam von Rechts, aus dem Wald auf sie zu. Jessica drehte

den Kopf und sah einen Schatten herannahen. Er war schnell. Zu schnell für den Alten aber

Jessica wusste er war es.

Nur er konnte es sein!

Ein tiefes, raues Schreien kam von diesem Schatten, der sich dunkel gegen das Feuer abhob

als sie zurückwich. Es war ein Schreien, wie es einfach kein Mensch von sich geben konnte.

Laut, heißer, rau und unheimlich tief. Es kam nicht nur von der verzerrt wirkenden Gestalt, es

kam von allen Seiten, war ein Echo, Crescendo und Chor zugleich...

Und dann sah der Schatten sie. Er verharrte und stand genau zwischen ihr und dem Haus. Er

bewegte sich auf sie zu und war irgendwie verzerrt. Vielleicht ging er auch nur gebückt. Aber

Jessica wusste, das er sie ebenfalls gesehen hatte. Und dann kam die Angst wieder, brandete

in ihr gegen das Gefühl des Triumphes und blieb erträglich. So weit erträglich, das sie sich

umdrehen und laufen konnte.

Ein rauer Schrei hinter ihr zeigte das Aufholen des Alten. Jessica glaubte nicht, das sie es

schaffen würde aber sie warf sich vorwärts. Hinein in die Dunkelheit. Bis ein schweres

Gewicht sich anfiel und zu Boden warf.

Jessica schmeckte Erde zwischen den Lippen und die Luft blieb ihr weg. Aber sie war bei

Bewusstsein. Ein kleines Wunder nach den vielen Schmerzen der letzten Stunden. Es war, als

Kämpfe ihr Körper und Verstand gegen alles an, auch gegen Ohnmacht und Schmerzen...

Etwas warf sie herum und über sich sah sie das verzerrte Gesicht des Alten. Das Feuer des

Hauses erhellte seine Gestalt und zeigte ihr pure Mordlust in dem Gesicht. Er hatte sie auf den

Boden genagelt und hockte auf ihr. Er sah sie nur an und da war etwas in seinem Gesicht, das

nicht passte. Doch Jessica verdrängte, was sie sah und griff ums ich. Ihre Hände wühlten

durch Erde, Staub und kleine Steine.

Das andere saß über ihr und seine tiefe Stimme schrie sie an. Es waren Worte die sie nicht

verstand, weil sie die fremde Sprache nicht kannte. Hohl, kehlig und dumpf klangen die

fremden Laute, die der andere ihr entgegen schrie. Hass glomm in seinem Gesicht und dort,

wo einmal die Augen waren, befanden sich zwei dunkle, leere Höhlen...

Dann holte der Alte aus. Sie sah es im Schein des Feuers genau. Doch da fand ihre rechte

Hand einen Stein. Nicht groß aber ausreichend. Er musste einfach reichen, mehr hatte sie

nicht. Schnell fuhr ihr Arm im Halbkreis herum und der Stein krachte gegen den Schädel des

Alten. Der hatte sich erhoben um zuzuschlagen und wurde überrascht. Jessica dachte nicht

daran, hier weiter verletzt zu werden. Wut und Hass drängten die Angst zur Seite und

verliehen ihr die letzten Kräfte.

Der Hieb traf und er Alte hielt inne. Er wankte. Das reichte ihr. Ihr rechtes Bein kam frei. Sie

winkelte es an und drückte den Fuß gegen die Brust des Mannes. Dann stieß sie zu und sah,

wie er in Zeitlupe zur Seite kippte. Das Gewicht von ihr verschwand.

Schwer atmend blieb sie liegen. Dann eine Bewegung neben ihr, ein tiefer Schrei. Hallend

und unmenschlich.

Auch wenn sie kaum konnte, Jessica rollte sich herum und drückte sich in die Höhe. Viel zu

langsam. Die Hand des Alten umklammerte ihren linken Oberarm. Wieder sah er sie an und

wieder sah sie etwas, das ihr Geist verdrängte. Sie schlug zu, schlug hinein in das, was einmal

sein Gesicht war. Der Griff verschwand und taumelnd schnellte sie in die Höhe. Doch auch

der Alte erhob sich. Schnell und flüssig, keineswegs gezeichnet von ihrer Gegenwehr.

Vielleicht spielte er auch wieder mit ihr.

Jessica sah sich um. Bis zu dem Feldweg war sie gekommen. Bis dorthin, wo einmal ihr Auto

gestanden hatte.

Der Alte kam. Seine Arme weit vorgestreckt und stumm. Jessica wich zurück. Er kam nach

und sie lief wieder. Irgend etwas in ihrer Seite schmerzte und nahm ihr die Luft aber Jessica

lief. Sie lief vor dem Alten, vor dem Etwas hinter sich davon. Direkt auf das Haus zu. Sie sah

sonst nicht uns sie hatte sowieso keine Chance mehr. Nicht gegen diesen Alten, der doch kein

Alter war. Heiß schlugen die Flammen ihr entgegen. Stolpernd drehte sie sich. Der andere

musste sie längst erreicht haben. Doch er stand von dem Feuer entfernt, zögernd und lauernd.

Und da erkannte Jessica. Er hatte Angst vor den Flammen die verzehrende Hitze ausstrahlten.

Sie lachte das fremde Ding an.

"Komm schon...!" schrie sie und machte eine einladende Bewegung. "Komm schon, oder hast

du Angst...?". Sie hatte ihre Hände geballt und Speichel sprühte von ihren aufgerissenen

Lippen.

Das andere, unheimliche wartete und stand gebückt. Das Gesicht des Alten zuckte im Rot der

Flammen und verliehen ihm noch mehr an dämonischen Aussehen als es längst schon hatte.

Irgend etwas war dort nun anders aber sie nahm es einfach nicht wahr. Ihr Verstand sperrte

sich einfach. Die Schatten hinter ihm, hervorgerufen durch die Flammen zeigten wilde, sich

bewegende und verzerrte Schatten. Das Gesicht des anderen vor ihr war verzerrt, wirkte wie

eine groteske Fratze. Die Augenhöhlen blickten sie dunkel an.

Ihre Stimme überschlug sich. Jessica hatte Mühe die Flammen hinter ihr zu übertönen. Sie

lachte und schrie ihn an. Doch der Schatten blieb stehen. Und sie lachte wieder. Er konnte

nicht näher an sie herankommen, schien das Feuer zu fürchten. Aber Jessica selber war in

Gefahr. Hinter ihr spürte sie die mörderischen Flammen nach ihr lecken und Hitzewellen

strichen über ihren Körper. Und doch fühlte sie sich sicher. Sicher vor dem, was da in der

Gestalt des Mannes auf ihr lauerte.

Ein Krachen und bersten hinter ihr. Jessica wirbelte erschreckt herum. Das Dach stürzte ein.

Brennende Asche senkte sich auf ihren Körper und fraß sich schmerzhaft durch den Pullover.

Aber sie wich nicht zurück, stand nur Meter von der Hölle entfernt und sah zu dem Haus, das

wankte und bebte.

Als sie sich umdrehte, war der Alte verschwunden. Einfach nicht mehr da. Der Platz, wo er

noch vor Minuten gestanden hatte war leer. Nur der Feldweg war zu sehen und die ersten

Bäume, die gespenstisch im Flackern des Feuers hinter ihr leuchteten. Gehetzt sah sie sich

um. Doch die Gestalt des Alten blieb verschwunden. Sie trat einen Schritt zurück. Feuer

schlug aus einem Loch, das einmal Tür war in ihren Rücken, verbrannte Hände und Teile des

Haares. Jessica schrie und fiel nach vorne. Der Boden kam zu schnell nahe und sie hatte auch

keine Lust mehr, sich abzufangen. Sollte der Alte sie doch bekommen. Ihr war alles egal.

Hart schlug sie auf den Boden auf und endlich nahm die Dunkelheit der Ohnmacht sie auf.

Sollte kommen, was wollte und wenn er es war. Alle Kraft schwand in ihr, alles ging unter.

Wenn es vorbei war, dann war es gut so...

 

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