Lord Argen ap Bedwyr

(Teil 1)

(Copyrigt 2000 by Heshthot Sordul)

22. Zeitalter

,,Bitte gehe nicht Argen. Denk doch an die Kinder und mich. Ich flehe Dich an, bleibe bitte bei uns!"

Die hübsche junge Frau, die diese flehentlichen Worte schluchzte war Lady Irisa, Herrin auf Burg Bedwyr. Sie fiel ihrem Gatten, Lord Argen ap Bedwyr, dessen braunes, mit vielen grauen Strähnen durchzogenes dichtes Haar ihm bis auf die Schultern reichte, weinend um den Hals und klammerte sich an ihn, als wolle sie ihn niemals wieder loslassen. Argen versuchte sich mit sanfter Gewalt aus dieser Umarmung zu lösen, doch Irisa verstärkte ihre Umarmung noch. Argen hatte schon manche Schlacht geschlagen und viele Narben auf seinem muskulösen Körper zeugten von den harten Kämpfen, die er siegreich überstanden hatte, aber gegen diese verzweifelte Umklammerung seiner nunmehr hemmungslos weinenden geliebten Frau war er machtlos. So unterließ er weitere Versuche, sich freizumachen und erwiderte stattdessen die Umarmung. Lange standen sie so in Irisas Gemach, welches für diesen abgelegenen Landstrich inmitten der Kriten-Steppe erlesen eingerichtet war. Als diese sich wieder etwas beruhigt hatte und das Weinen einem gelegentlichen Schluchzen wich, versuchte der Lord nochmals seine Gemahlin von sich zu schieben, was ihm auch gelang. Irisas Widerstand schien gebrochen und hatte einer tiefen Verzweiflung Platz gemacht. Sanft hielt er sie an den Schultern und blickte auf die Mutter seiner beiden Söhne Herwold und Brack hinab, denn Argen überragte seine um einige Jahre jüngere Frau um wenigstens einen Kopf.

,,Liebste", flüsterte er liebevoll, ,,bleibt mir, bleibt uns denn eine andere Wahl? Soll ich denn tatenlos zusehen, wie uns unser Besitz gestohlen wird? Sollen unsere Söhne denn tatsächlich in einem Bauernhaus aufwachsen, anstatt auf Burg Bedwyr? Gerade weil ich an Dich und die Jungs denke, bleibt mir keine andere Wahl, als diese Aufgabe zu bewältigen, mag sie auch noch so gefährlich sein. Ich tue dies doch nicht aus Abenteuerlust oder des Ruhmes wegen. Aber mit dem Gold, welches wir damit verdienen decken wir sämtliche Verluste dieses Jahres und können die Abgabe an den Herzog ohne Probleme leisten und zwar für wenigstens zehn Jahre im voraus. Bedenke doch bitte, was das bedeuten würde. Wir könnten unseren Pächtern die Abgabe an uns für diesen Zeitraum verringern und ihnen somit helfen über die Verluste der letzten drei Mißernten hinwegzukommen. Was denkst Du denn, was geschieht, wenn sie ihre Höfe verlassen, weil sie dort Not leiden? Unser Land läge dann brach, was bedeuten würde, daß wir keinerlei Einkünfte mehr hätten. Mal davon abgesehen, daß wir dieses Land sowieso binnen zweier Monate an den Herzog verlieren, wenn ich es nicht schaffe den Jahrestribut innerhalb dieser Zeit an ihn zu zahlen. Mit dem Land verlieren wir die Pächter, mit ihnen jegliche Einkünfte und als nächstes müßten wir die Burg beleihen, ohne die Möglichkeit zu haben diese Schuld jemals tilgen zu können. Das bedeutet, daß wir innerhalb weniger Jahre alles verlieren. Auch die Zukunft für unsere Söhne. Und das kann und werde ich nicht zulassen. Nicht solange ich lebe! Also - laß mich tun, was getan werden muß. Es ist unsere einzige und letzte Chance das Blatt zu wenden."

Mit tränenverschleierten Augen blickte die Lady ihren Gemahl an.

,,Aber was soll denn aus uns werden, wenn Du nicht wiederkommst? Was soll aus mir werden, wenn ich Dich verliere, mein Schatz? Ohne Dich will ich nicht mehr leben."

Erneut füllten sich ihre großen braunen Augen mit Tränen.

,,Hast Du denn gar kein Vertrauen zu mir, Irisa? Meinst Du, ich sei zu alt die Aufgabe zu bewältigen? Ich habe den Ausgleichsvertrag unterschrieben. Das bedeutet ich unterstehe nicht mehr dem militärischen Befehl des Herzogs und muß nicht in seinen Kriegen für ihn kämpfen. Dafür wurden wir aber abgabenpflichtig, was wir vorher nicht waren. Dies alles habe ich für Dich, Herwold und Brack getan, nicht weil ich mich zu alt oder schwach fühle, ein Schwert zu heben. Das habe ich den größten Teil meines Lebens getan und muß es nun halt wieder tun. Das ist alles. Und um uns alle zu retten, werde ich es tun Irisa und nichts wird mich davon abbringen. Auch Du nicht. Du weißt wie sehr ich Dich liebe. Und diese Liebe gab mir bisher immer Kraft. Bitte laß nicht zu, daß sie mich jetzt schwächt. Hilf mir mit Deiner Liebe. Ich bitte Dich."

Liebevoll streichelte er Irisas von Tränen verschmierte Wange. Dann küßte er ihre Stirn. ,,Paß gut auf unsere Söhne auf, bis ich wieder da bin und sei Dir meiner Liebe gewiß. Ich werde zurückkommen und dann wird alles wieder gut sein. Lebe wohl Irisa."

Nach diesen Worten drehte er sich um und ging zur Tür des Gemaches. Einen Herzschlag lang verharrte er dort, als warte er auf etwas. Dann öffnete er die Tür, verließ das Gemach seiner Gemahlin und zog die schwere Eichentür leise ins Schloß. Gerne ging er nicht. Aber es bedeutete die einzige Möglichkeit, den drohenden Ruin abzuwehren. Zu lange schon hatte er gewartet und auf ein Wunder der Götter gehofft. Nun endlich würde er handeln. Und er schwor sich, nicht zu versagen.

*



Während Irisa noch weinend in ihren Gemächern weilte, verabschiedete Argen sich von seinen beiden Söhnen, was ihm nicht minder schwer fiel. Während der jüngere Herwold ihn wie zuvor schon seine Mutter gar nicht ziehen lassen wollte, versuchte der etwas ältere Brack seinen Vater mit allen Tricks zu überreden, ihn doch mitzunehmen, was Argen rigoros verneinte. Er konnte seinen tatendurstigen Sohn dann aber überzeugen, daß er als Ältester jetzt der Lord auf Burg Bedwyr sei, der auf die Mutter und den kleineren Bruder aufpassen müsse. Diese kleine List verfehlte nicht seine Wirkung, denn Brack eilte sofort los, holte sein Holzschwert aus einem seiner geheimen Verstecke und stolzierte damit lauter unsinnige Befehle brüllend über den Burghof. Stolz betrachtete Argen seinen Sohn einen Moment, dann

schwang er sich in den Sattel seines Pferdes, packte die Zügel des Packpferdes und verließ Burg Bedwyr über die heruntergelassene Zugbrücke. Er wendete sich nach Osten in Richtung Granitgebirge, bereit das größte Wagnis seines Lebens für das Wohlergehen seiner Familie einzugehen.


*

 

Nach einer Woche im Sattel fühlte Argen sich nicht nur völlig verdreckt, ihm taten auch alle Knochen im Leib weh. Zerknirscht mußte er sich eingestehen, daß er diese Strapazen doch nicht mehr gewohnt war. Die ersten drei Nächte konnte er noch in Gasthäusern verbringen, wo ihm die Wirte, seinem Stand angemessen, den für ihre bescheidenen Verhältnisse bestmöglichen Luxus angedeihen ließen. Die letzten drei Nächte verbrachte er aber unter freiem Himmel und mußte feststellen, daß der Boden viel härter und die Nächte viel kälter geworden waren, als zu jener Zeit, in welcher er noch eine Einheit Sturmreiter im Heere des Herzogs anführte und ein Übernachten im Bett eher die Ausnahme darstellte. Auch wurde es ihm klar, daß es sehr wohl einen Unterschied macht, ob man mit einem eigenen Burschen oder völlig alleine unterwegs war. Und jeden Morgen fragte sich Argen aufs neue, wie der arme Kerl diese ganzen Aufgaben wohl bewältigt haben mochte ohne seine gute Laune zu verlieren, mit der er seinen Herrn immer wieder aufmuntern konnte, egal wie hart die Schlacht oder wie aussichtslos die Situation auch sein mochte. Aber er war nun alleine und kein Bursche nahm ihm die tägliche Arbeit ab. So hatte Argen auch diesen Morgen wieder die Pferde gestriegelt, ihre Hufen gereinigt, die Gurte des Reit- und des Packsattels auf Risse oder morsche Stellen geprüft, sein Kettenhemd und seine Panzerrüstung von der Feuchtigkeit des Morgentaus befreit um zu verhindern, daß sie rosteten, sein Schwert abgerieben und eingefettet, die Nieten seines Schildes auf Festigkeit überprüft und all die anderen Dinge getan, für die damals Reuben, sein Bursche zuständig war. Wie bis jetzt an jedem Morgen, dachte er an seinen tapferen treuen Burschen und an das Schicksal, welches ihn ereilte. Und wie an jedem Morgen verdrängte er diesen schmerzlichen Gedanken wieder. Reuben war fort und er konnte daran nichts ändern. Weder damals, noch heute. Selbst der stärkste Schwertarm war nun mal nicht in der Lage, die Geschichte zu ändern, das hatte Argen mehr als einmal feststellen müssen. Doch diesmal mußte es ihm gelingen das Schicksal zu Gunsten seiner Familie zu ändern und er schwor sich jeden Tag erneut, daß er nicht der erste Lord Bedwyr sein würde, der Haus und Hof verlieren würde, weil er Schulden nicht bezahlen konnte. 

So in Gedanken verloren ritt er langsam in den Tag hinein und kam seinem Ziel, dem Granitgebirge, Schritt für Schritt, Meile um Meile näher. Die Sonne stand im Zenit und brannte erbarmungslos auf den einsamen Reiter herunter. Argen schwitzte in seinem wattierten Waffenrock, welchen er unter dem Kettenhemd tragen mußte, da die schwere aus vielen tausend Stahlringen bestehende Rüstung ihm sonst unweigerlich die Haut bis auf die Knochen aufgescheuert hätte. Auch eine Unbequemlichkeit, an die er sich in den vergangenen Tagen erst wieder hatte gewöhnen müssen. Und auch hier drängte sich ihm die Überzeugung auf, daß der Kettenpanzer früher nie so schwer wog. Er hätte die Rüstung natürlich ablegen können, um so bequemer zu reisen, doch wollte er sich erstens wieder an das Gewicht gewöhnen und befand sich zweitens mittlerweile in einer Gegend in der er stündlich in Kämpfe verwickelt werden konnte. Denn je näher er dem Granitgebirge kam, desto größer war die Gefahr auf Horden ehemaliger Söldner und Halsabschneider zu treffen, welche sich nach ihren immer wieder vorkommenden Raubüberfällen auf kleine wehrlose Dörfer oder Handelskarawanen in den unwegsamen Schluchten des riesigen Gebirgszuges versteckten, um den Soldaten der Ratsarmee zu entgehen. Vor langer Zeit hatte er selbst einmal eine solche Strafexpedition in diese Gegend geführt und dafür gesorgt, daß eine Horde dieser ehrlosen Banditen ihr wohlverdientes Ende fand. Damals war Reuben noch an seiner Seite gewesen und hatte ihm das Leben gerettet, indem er sich in den Axthieb eines der Banditen geworfen hatte, der Argen von diesem unbemerkt hinterrücks niederstrecken wollte. Reuben wurde bei dieser Rettungsaktion schwer verletzt und Argen ließ die besten und teuersten Heilkundigen aus der Ratsstadt Bethesda kommen. Das verschlang zwar Unsummen, aber Reubens Leben wurde gerettet. Seit diesem Tag waren sie eigentlich nicht mehr Herr und Diener sondern zwei Freunde, obgleich sich im Verhalten beider Männer offensichtlich nichts änderte. Hätte Reuben doch auf ihn gehört. Vielleicht würde er ihn dann jetzt begleiten. Blinzelnd sah Argen sich um. 

Völlig in seinen Gedanken verloren mußte er feststellen, daß er ein ganzes Stück geritten war, ohne von der Umgebung etwas wahrzunehmen. Er fluchte leise. So etwas durfte nicht passieren. Schon ein Augenblick der Unachtsamkeit konnte einem das Leben kosten und er war weit länger, als nur einen Augenblick unachtsam gewesen. Doch was hatte ihn aus seiner Tagträumerei gerissen? Ihm war, als hätte er ein leises Geräusch vernommen, konnte aber nicht benennen welches. Dieser Umstand änderte sich aber sofort. Denn jetzt vernahm er es wieder. Ein Zischen und leises Surren. Und dieses Geräusch kannte der alte Kämpe zur Genüge. Dieses verhaßte Geräusch hatte er auf dem Schlachtfeld kennen und hassen gelernt. Ein Blick hinter sich bestätigte seine Befürchtung. Hinter ihm befanden sich auf Bogenschußweite drei Reiter. Während einer stand und erneut mit einem Reiterkurzbogen auf ihn anlegte, preschten die beiden anderen auf ihn zu. Jetzt konnte Argen auch den Hufschlag der heranfliegenden Angreifer durch das Metall seines Helmes vernehmen. Zu seinem Glück, schien der Bogenschütze nicht sehr gut mit seiner Waffe umgehen zu können, denn auch dieser Schuß verfehlte den Lord um einige Zoll. Schnell schätzte er seine Chancen ab. Die zwei Reiter mußten ihn in wenigen Augenblicken erreicht haben. Der eine schwang eine kurzstielige Axt, während der andere einen Stoßspeer als Lanze benutzte. Seine eigene Lanze befand sich fest verschnürt zusammen mit seiner Plattenrüstung unerreichbar auf dem Packpferd. Desgleichen der große Schild. Im Geiste verfluchte Argen sich, ob seiner törichten Unvorsichtigkeit. Früher wäre ihm das nicht passiert. Wenn es ihm gelang einen der beiden Angreifer sofort zu erledigen, hatte er ein wenig Zeit sich um den zweiten zu kümmern bevor der dritte Wegelagerer in den Nahkampf eingreifen konnte. Dieser hatte jetzt aufgehört zu schießen, um nicht aus Versehen einen seiner Spießgesellen zu treffen, die jetzt nur noch einen Steinwurf von Argen entfernt waren und wilde Kampfschreie ausstoßend auf den Lord zustürmten. 

Argen ließ den Zügel des Packpferdes fahren, griff hinter sich und zog den gewaltigen Streitkolben aus dem Futteral, welches hinter ihm am Sattel angebracht war und rüstete sich zum Kampf. Den beiden Angreifern mußte er als leichte Beute vorkommen, wie er da so ganz ruhig auf seinem Pferd saß, die Hand mit dem Streitkolben an der Seite herunterhängen ließ und ihnen ruhig entgegensah. Doch so ruhig, wie es den Anschein hatte, war Argen nicht. Der Lord war innerlich aufs Äußerste gespannt und wartete den richtigen Moment zum Handeln ab. Die Reiter teilten sich vor ihm und der Axtschwinger ritt auf seine linke Seite, während der Lanzenreiter ihn von rechts angriff. Der linke Reiter, ein langhaariger bulliger Mann, mit Lederrüstung hielt den Arm mit der Axt ausgestreckt von sich und wollte Argen durch seinen Anschwung die Axtschneide durch den Helm in den Schädel treiben. Der rechte Reiter, ein dürrer Glatzkopf, hielt die stählerne Speerspitze auf Argens Körper gerichtet. Mit einigem Glück würde der gut gearbeitete Kettenpanzer die Spitze abwehren, aber Argen wußte, daß er sich darauf nicht verlassen konnte und handelte dementsprechend. Kurz bevor die Axtschneide seinen Kopf erreichte, riß er mit einer enormen Kraftanstrengung den Streitkolben hoch und ließ ihn los. Das tödliche Geschoß traf die Stirn des Axtschwingers und dessen Schädel zerbarst mit einem häßlichen Knirschen. Der Mann selber wurde durch die Wucht des Aufpralles nach hinten von seinem Pferd geschleudert und war bereits tot, als er am Boden auf schlug. Gleichzeitig ließ Argen sich nach links vom Pferd fallen und der Speerstoß des Glatzkopfes ging über Argens Sattel ins Leere. Krachend schlug Argen auf, wobei er seinen Helm, den er nicht unter dem Kinn festgebunden hatte, verlor. Dem Kämpen blieb kurz die Luft weg und ein stechender Schmerz durchfuhr sein linkes Handgelenk. Doch darauf achtete er nicht. Sofort rappelte er sich auf und kam leicht schwankend zum Stehen. Ein Blick über die Schulter zeigte ihm, daß der Speerreiter in einiger Entfernung dabei war, sein Pferd herumzureißen. Ein zweiter Blick genügte, um zu erkennen, daß der heranreitende dritte Gesetzlose ihn bald erreicht haben mußte. Er schwang ein Kurzschwert und war lediglich mit einer Tunika und einem dunklen Umhang bekleidet. Zwei schnelle Schritte reichten Argen und er war bei seinem Pferd, welches trotz des kurzen Kampfes wie angewurzelt an seinem Platz stand und sich nicht weggerührt hatte. 

,,Wenigstens Du hast nichts verlernt, Alter", flüsterte Argen durch seine zusammengebissenen Zähne, als er sich schwerfällig mit der rechten Hand in den Sattel zog. Als er saß, kamen beide Reiter wieder auf ihn zu. Der eine mit Kurzschwert von vorne, der andere von hinten mit seinem Speer. Argen gab seinem Streitroß die Sporen, zog in einer fließenden tausendfach erprobten Bewegung sein Langschwert aus der Scheide, und galoppierte auf den Kurzschwertschwinger zu, sein eigenes Schwert zum Schlag erhoben. Argens Schlag zielte auf das Kurzschwert, als wolle er es dem Feind aus der Hand prellen. Dieser versuchte Argens Schlag zu unterlaufen und den Körper des Lords mit seiner Klinge zu treffen. Als er den Schwertarm ausstreckte, um Argen zu treffen, änderte dieser blitzartig die Richtung seines Angriffes und die lange scharfe Klinge seines Langschwertes fuhr hinab auf den ungeschützten Schwertarm des Angreifers und durchtrennte diesen mühelos kurz unterhalb des Ellenbogens. Der abgetrennte Arm, dessen Hand immer noch trotzig den Schwertgriff umklammert hielt landete kurz auf Argens Sattelhorn und fiel dann in einer feinen Blutfontäne links zu Boden. Argen zügelte sein Pferd und drehte es auf der Hinterhand, um sich dem Speerreiter zuzuwenden, welcher bereits auf ihn zu kam. Der andere galoppierte weiter, ohne sein Pferd zu zügeln. Argen wußte, daß dies vom Schock der plötzlichen Verletzung herrührte und daß der nun Einarmige wahrscheinlich nach einigen Minuten tot vom Pferd fallen würde. Ein Umstand, den er schon oft bei schwer verletzten Kämpfern beobachtet hatte. Von ihrer Wunde scheinbar unberührt kämpften sie einfach weiter oder verließen wie im Traum das Schlachtfeld, nur um plötzlich tot umzufallen. Gerne hätte Argen beobachtet, ob dieses auch dem Fortreitenden geschehen würde, aber dazu blieb ihm leider keine Zeit, denn der Speerkämpfer kam laute Kampfschreie ausstoßend auf ihn zu geflogen, die tödliche Speerspitze auf Argens Körper gerichtet. Ein kurzer Befehl an sein Schlachtroß und dieses stand still, wie eine Statue. 

Argen hielt das Langschwert mit beiden Händen und stellte sich in die Steigbügel, bereit den Angriff zu parieren und den Speer beiseite zu schlagen. Er hoffte, den Speerschaft damit zu zerbrechen, was den Angreifer waffenlos machen würde. Argen wußte, um das Risiko dieser Aktion, hatte aber ohne Schild keine andere Möglichkeit, den Angriff abzuwehren. Der Speer raste wie ein silberner Blitz auf ihn zu. Als es soweit war, reagierten Argens Muskeln instinktiv. Seine Schwertklinge beschrieb einen glänzenden Halbkreis und traf genau im richtigen Augenblick auf den Holzschaft des langen Speeres. Die stählerne mit Widerhaken versehene Stahlspitze wurde zur Seite gestoßen und verfehlte Argens Körper nur um wenige Zoll. Noch bevor Argen sich darüber klar wurde, daß er diesen Angriff unbeschadet hatte parieren können, war der Glatzkopf an ihm vorbei. Argen ließ sich in den Sattel zurückfallen und zog an den Zügeln, was für sein gut ausgebildetes Schlachtroß bedeutete auf der Hinterhand zu steigen und sich zu drehen. Ein Schenkeldruck und der weiße Hengst machte einen Satz vorwärts und fiel übergangslos in den Galopp. Dank dieses Manövers befand sich Argen binnen weniger Herzschläge direkt hinter dem Pferd des haarlosen Wegelagerers. Als dieser seinen Gaul zügelte, um sich für einen erneuten Angriff in die richtige Position zu bringen, ohne zu ahnen, daß sich Argen, den er einige Meter hinter sich vermutete, bereits direkt hinter ihm befand, traf ihn die Schneide des Langschwertes am Hals, durchtrennte Haut, Muskeln und Knochen und enthauptete den Banditen ohne daß dieser auch nur den Hauch von Schmerz empfinden konnte. Der durch die Luft fliegende Schädel glänzte kurz in der Sonne und fiel mit einem dumpfen Geräusch zu Boden. Der kopflose Körper hielt sich noch kurz aufrecht im Sattel, um dann in sich zusammenzusacken und seitlich aus dem Sattel zu kippen. Doch noch gönnte sich der Lord keine Ruhe. Er riß sein Roß herum und spähte nach dem Verletzten. In einiger Entfernung sah er das Pferd traben und tatsächlich saß der Bogenschütze noch im Sattel. Argen gab seinem Reittier die Sporen. Weit über den Hals des Tieres gebeugt, das Langschwert am langen Arm zur Seite ausgestreckt jagte er auf den Flüchtigen zu. Nach wenigen Momenten befand er sich auf gleicher Höhe. Mit kalkweißem Gesicht starrte der zu Tode verletzte Reiter ihn mit weit aufgerissenen Augen blicklos an. Argens Klinge zerschnitt zischend die Luft. Singend fuhr die kraftvoll geführte scharfe Stahlschneide in den Schädel des Wegelagerers und beendete dessen Todesqual augenblicklich. Argen zügelte sein Roß und stand still. Er schloß kurz die Augen, wie um sich zu sammeln, dann stieß er sein Schwert den Wolken entgegen, erhob sich in die Steigbügel und sandte den Schlachtruf derer von Bedwyr gen Himmel.



*


Nachdem er die erschlagenen Feinde durchsucht, sein Schwert gereinigt und seinen Streitkolben und den Helm aufgesammelt hatte, ritt Argen weiter. Die Leichen, bei denen er nichts bemerkenswertes finden konnte, ließ er den Aasfressern liegen. Dieses feige, hinterhältige Pack verdiente seiner Auffassung nach keine andere Behandlung. Aber diese Begegnung hatte ihn gelehrt größere Vorsicht walten zu lassen und so trug er nun seinen Schild, auf dem der doppelköpfige Phönix, das Wappentier derer von Bedwyr aufgemalt war, an den linken Arm geschnallt, während seine rechte Hand fest den Griff der langen Kriegslanze hielt, deren stumpfes Ende in einer extra dafür vorgesehenen Lederschlaufe, welche am rechten Steigbügel angebracht war, steckte, damit der Träger nicht das gesamte Gewicht der Lanze tragen mußte. Auch der Kinnriemen des Helmes war festgezurrt, so daß er ihn nicht wieder so einfach verlieren konnte. So gerüstet zu reiten war zwar alles andere als angenehm, aber für seine bevorstehende Aufgabe, mußte er sich so oder so wieder an das
Gewicht der Waffen und der Rüstung gewöhnen, obwohl er nach kurzem Überlegen entschieden hatte, den Plattenpanzer noch auf dem Packpferd zu lassen und sich vorerst noch auf den Schutz seines Kettenhemdes zu verlassen. Der vom Sturz herrührende Schmerz in seinem linken Handgelenk war zu einem dumpfen Pochen abgeklungen und behinderte ihn nicht. Kaum auszudenken, wenn er sich das Gelenk gebrochen hätte. Dann wäre sein Vorhaben so gut wie unmöglich geworden und alles wäre verloren gewesen. Und wieder schwor er sich, daß dies nie geschehen würde. Undenkbar, daß ein Lord ap Bedwyr Land und Burg verliert und mit seiner Familie ein ärmliches Leben auf einem verfallenen Bauernhof führen müßte.

(weiter zu Teil 2)