Was ist ein Vampir? 
von Heshthot Sordul


Nun - diese Frage zu beantworten ist keineswegs einfach. Denn ein Jeder versteht wohl etwas anderes darunter.

In den Mythologien der alten Zeit ist der Vampir in der Regel ein Verstorbener, eine umherwandelnde Leiche, welche die Lebenden heimsucht (mit Vorliebe Familienangehörige und Freunde) und sie ihrer Lebenskraft beraubt. Sei es durch das Trinken ihres Blutes oder auf andere Weise. Sie verursachen Krankheiten, Siechtum, Mißernten und sind für andere Naturkatastrophen verantwortlich.

Es gibt diesen mythologischen Vampir unter den verschiedensten Namen (einige davon werden an anderer Stelle in der VB ja bereits genannt) und in den unterschiedlichsten Ausprägungen in so ziemlich jeder Kultur. Bei diesen saugenden Monstren handelt es sich nicht unbedingt um Wesen mit denen man sich gerne identifiziert. Im Gegenteil, sie ließen die Sterblichkeit des Menschen und die Gewissheit des Todes als Segen gegenüber der Verdammnis dieser Untoten erscheinen. Ein Aspekt, der die weitverbreitete Bereitschaft an die Existenz solcher auf ewig Verdammten erklären mag.

Dieses änderte sich erst mit dem literarischen Vampir, den man in Ansätzen bereits in Goethes 'Die Braut von Korinth' erkennen vermag, der aber erst im viktorianischen Zeitalter durch Autoren wie Sheridan LeFanu, Lord Byron, dessen Freund und Arzt William Polidori und nicht zuletzt dem Iren Bram Stoker seine volle romantische Bedeutung erlangte. Welcher "Vampirologe", bzw. Vampyr kennt nicht LeFanus weiblichen Vampir Carmilla oder besser gesagt Mircalla, Comteß Karnstein oder den eleganten Lord Ruthven aus Polidoris Feder? Von dem wohl bekanntesten adligen Vampir, dem transylvanischen Grafen Dracula ganz zu schweigen, mit dem der bis dato kaum bekannte Autor Bram Stoker letztlich Weltruhm erlangte? Alle diese Vampire entsprangen dem Geiste dieser Romanciers, teilweise in Anlehnung an historischen Personen, wie der Gräfin Elisabeth Báthory oder dem walachischen Woiwoden Vlad III, welcher auch Vlad Tepes (Vlad der Pfähler) oder Draculae (Sohn des Drachens/Sohn des Teufels) genannt wurde. Diese Vampire gaben den Autoren die Möglichkeit mehr oder weniger erotische Szenen in ihren Geschichten zu erzählen ohne gegen den guten Ton der wenigstens nach aussen hin recht prüden viktorianischen Zeit zu verstossen. . Neuzeitliche Autoren, wie Anne Rice oder Tom Holland, um nur zwei der unzähligen Schriftsteller zu nennen, welche in der Tradition der "alten" Romanciers ihre Vampire durch die Seiten der Bücher und die Träume der Leser wandeln lassen, haben das Ihrer dazu beigetragen, diesen übernatürlich schönen, eleganten, verführerisch erotischen und schier unüberwindbaren Vampirtypus am (Un-)Leben zu erhalten. Während Holland seine Vampirtrilogie dem Altmeister Lord Byron widmet, welcher dort als übermächtiger Vampir durch die Sphären der Zeit wandelt, kreierte Anne Rice gleich mehrere wunderschön anzuschauende Vampire, wobei ihre Figur Lestat de Lioncourt die zentrale Wesenheit ihrer unvergleichlichen Vampirchroniken darstellt. Erzählt in 'Gespräch mit dem Vampir' der untote Kreole Louis de Point du Lac noch darüber, wie Lestat ihn zum Vampir wandelte und darüber, wie es ihm, Louis, anschließend erging, übernahm im Folgeroman 'Der Fürst der Finsternis' Lestat selbst die Erzählerrolle, welche er auch in den Folgeromanen 'Königin der Verdammten', 'Nachtmahr' und 'Memnoch der Teufel' beibehielt. In Letzterem trifft der zu diesem Zeitpunkt schon übermächtige Lestat auf den Teufel und schließlich auch auf Gott persönlich und soll sich entscheiden, wem von Beiden er dienen soll.

Die Filmindustrie tat dann das ihre dazu, um den Vampir in unzähligen mehr oder weniger gelungenen Filmen zu glorifizieren. Nur in sehr wenigen Filmen erscheint der Vampir als verfluchte, gottlose Kreatur, welche unter Ihrem Dasein leidet. Die meisten Filmvampire geniessen ihre Macht und spielen sie erbarmungslos aus. Auch wenn sie zumeist (leider) am Ende des Filmes ihren endgültigen Tod durch den Pflock, das Sonnenlicht oder sonstige garstige Dinge erleiden. (Wie erfrischend ist da das "Happy End" in 'Interview mit dem Vampir' basierend auf Anne Rices erstem Band der Vampirchroniken) 
Mit solchen Charakteren kann man sich natürlich sehr leicht identifizieren, stellen sie doch alles dar, was einem Sterblichen als erstrebenswert erscheinen mag. Die Vampire sind unsterblich, gegen jegliche Krankheit gefeit, schön, verführerisch und verfügen über eine faszinierende Ausstrahlung. Zudem sind sie stark und mächtig. Vor allem aber stehen sie ausserhalb der menschlichen Gesetze, können tun und lassen was immer sie wollen, ohne die Strafe für Ihr Tun fürchten zu müssen. Man kann sogar so weit gehen, daß sie am Ende aller Tage selbst die Vergebung Gottes erhalten, denn sie hatten ja (zumeist) keine Wahl und sind völlig unschuldig an ihrem Zustand. Alles tun zu dürfen und vor allem zu können ohne die Konsequenzen dafür tragen zu müssen, scheint mir der zentrale Faszinationspunkt zu sein, der den Vampir ausmacht. Dazu dann noch die dunkle Romantik, welche Vampire ausstrahlen - wen wundert es da, daß sich so viele Menschen diesem Wesen verbunden fühlen, obgleich es so doch gar nicht existiert und sicherlich nie existiert hat?

Und doch gibt es Vampire! Menschen, die (fast) so leben, als wären sie jene mythologischen oder literarischen Vampire, ohne jedoch wirklich daran zu glauben, unsterblich zu sein, im Sonnenlicht verbrennen zu müssen oder andere Menschen verletzen oder gar töten zu müssen oder wollen, weil sie meinen deren Blut zum Leben zu benötigen. (Denn dann würde ich sie nicht als Vampire, sondern als geistig gestörte Psychopathen, die eingesperrt gehören, bezeichnen - wohingegen das Trinken von Blut in gegenseitigem Einverständnis vollkommen in Ordnung und nicht zu verdammen ist.) Menschen, welche die Nacht und ihren dunklen Frieden lieben, die lieber Stunden den Vollmond anschauen, als sich Big Brother im Fernsehen anzuschauen ;o). Menschen, die dunkle, düstere Musik mögen. Menschen, die den Mythos Vampir ausleben, ohne jedoch andere Menschen in irgendeiner Form zu schädigen. Menschen, die alles was das Thema Vampire ausmacht gierig in sich saugen, so wie der "wahre Vampir" das Blut der Sterblichen saugt. Menschen, die sich Vampire nennen und dazu jedes Recht der Welt besitzen. Von diesen Vampiren gibt es mehr, als sich der Normalbürger denkt. Sie leben unter uns - oder sollte ich wohl besser sagen: Wir leben unter Euch! Sicherlich gibt es auch unter uns Vampiren noch unterschiedliche, wie soll ich es nennen, Gruppierungen(?). Manche sind "nur" Rollenspieler, welche am Wohnzimmertisch oder beim Live-Rollenspiel ihre vampirischen Abenteuer bestehen, andere schlüpfen nicht nur zeitweilig in die Rolle des Vampirs, sondern leben sie rund um die Uhr mehr oder weniger ausgeprägt aus. Der eine lässt an seinem Äusseren keinen Zweifel daran aufkommen, welcher Gattung er angehört und mag sich extrem "vampirisch" kleiden, schminken und zurechtmachen, während der andere weniger auffällig als Vampir durchs Leben geht, was ja auch dem "wahren Vampir" mehr entsprechen würde. Doch sollte ein Vampir durchaus in der Lage sein, auch an Kleinigkeiten einen anderen Vampir erkennen können. Es gibt sicherlich Aufzählungen und Listen in denen jeder in eine bestimmte "Vampirschublade" gesteckt wird, frei nach dem Motto "Du denkst so und so, also bist Du ein Vampir Typ X, Du denkst so und so, also gehörst Du zum Vampirtypus Y und so weiter und so fort! Ich persönlich halte nichts von derartigen Einstufungen, denn ich denke, jeder Vampir sollte so sein und so leben, wie es ihm gefällt, ohne gleich spezifiziert und katalogisiert zu werden. Denn auch wir sind Individuen, die ein Recht darauf haben, sich auch innerhalb der Vampirgemeinschaft frei entfalten zu dürfen, ohne sich anhören zu müssen: Da Du das und jenes nicht machst, magst oder tust bist Du gar kein richtiger Vampir. Das ist kleinbürgerlich und eines Vampirs nicht würdig!

Zum Schluß bleibt mir nur zu sagen, daß ich die Frage "Was ist ein Vampir?" nun wohl doch nicht so beantworten konnte, wie es sich der eine oder andere geschätzte Leser wohl erhofft hat, denn wie ich es ja eingangs bereits erwähnte, jeder versteht wohl etwas anderes darunter. Und jeder sollte die Antwort darauf tief in sich suchen. Vermag er sie dort nicht zu finden, denke ich, ist er keiner der Unsrigen. Denn wie kann man etwas sein, von dem man selbst nicht weiss, was es ist? Ich für meinen Teil, habe für mich die Antwort gefunden und denke, daß Ihr verehrter Leser, dieses auch könnt, so Ihr denn in Euch sucht und falls Ihr die Antwort nicht schon längst für Euch gefunden habt. Sollte dies noch nicht der Fall sein, hoffe ich, daß Euch die Vampyrbibliothek ein wenig geholfen hat, Eure ganz persönliche Antwort auf die Frage "Was ist ein Vampir?" zu finden. 

Heshthot S.
(19.07.00)