Faszination des Vampirs 
von Heshthot Sordul

Unzählige Gedichte, Romane und Filme gibt es über ihn. 
Berichte, Referendare und Arbeiten wurden und werden über ihn geschrieben. 
Sogar mehr oder weniger wissenschaftliche Sachbücher gibt es mittlerweile zu Hauf. 
Die Schar derer, welche in einem Rollenspiel in seine Haut schlüpfen wächst stetig.

Fast könnte man meinen, der Vampir war im Leben der Menschen nie so präsent, wie heute. 
Und zwar nicht, als Furcht erregendes untotes Monster, welches man fürchtet und verachtet, sondern als übernatürliches Wesen, welches man beneidet und dessen Faszination man sich nicht entziehen kann.

Schon längst ist der Vampir. in Romanen und Filmen nicht mehr unbedingt der Böse, der am Ende durch den strahlenden Helden durch Pfahl, Sonnenlicht oder Feuer vernichtet wird, 
Vielmehr ist er zum eigentlichen Helden der Geschichte avanciert. Und selbst in den modernen Filmen, in denen er am Ende vernichtet wird, ist er der wirkliche Held, die Figur, mit der sich die meisten Zuschauer nur zu gerne identifizieren.

Doch warum ist das so? Woher diese Kehrtwendung vom grausamen Untoten, der den Lebenden das Blut aussaugt, zum beneideten Überwesen?

Wie war es denn früher? 

Der Vampir war entweder ein Dämon, welcher die Menschheit plagte oder ein Verstorbener, der sein Grab verließ, um Krankheit, Seuchen und Tod über sein Heimatdorf und Unglück über seine eigene Familie zu bringen. Keiner dieser alten Wiedergänger, Nachzehrer, Aufhucker und wie sie alle genannt wurden, hatte etwas romantisches oder verklärtes an sich. Und niemand legte gesteigerten Wert darauf, die ewige Ruhe gegen das Dasein einer solchen Kreatur zu tauschen. Doch auch in jenen Zeiten hatte der Glaube an solche Untoten etwas positives für die Menschen. Denn die Angst vor dem Tod wird erträglicher, wenn man daran glaubt, dass es ein noch schlimmeres Schicksal gibt. Nämlich als Leiche umher wandeln zu müssen und keine Ruhe zu finden.

Der Vampir avancierte hauptsächlich in der viktorianischen Zeit, also Mitte/Ende des 19. Jahrhunderts zum salonfähigen Subjekt. Diese Zeit war geprägt durch die beginnende Industrialisierung und die scheinbar übermoralische Sittenstrenge, hinter deren Fassade es allerdings alles andere als prüde zuging. Geschlechtskrankheiten wie die Syphilis hatten Hochkonjunktur und so manch einer trank sich mit zu viel Absinth um den Verstand. (Man sagt, der Maler van Gogh hätte sich sein Ohr in einem Absinthrausch abgeschnitten) 
In dieser Atmosphäre mutierte der untote Leichnam dann schließlich zum adligen Gentleman, der seinen Blutdurst in aristokratischen Kreisen stillte. Hier seien Pollidoris Vampir Lord Ruthven und Bram Stokers berühmter Graf Dracula als Beispiel angeführt. 
Beide waren blaublütig, wohl erzogen und äußerst intelligent. Zwar haftete zumindest dem Grafen noch etwas tierhaftes an, doch ließ dies nach, als er aus den transsylvanischen Karpaten ins viktorianische England übersiedelte. 
Beide waren Figuren, die so mächtig und unnahbar waren, dass sie außerhalb der moralischen und weltlichen Gesetze standen und wenn Bram Stoker seinen Grafen Dracula am Ende doch den endgültigen Tod durch die Hand zweier beherzter Männer sterben ließ, lag das wohl eher daran, dass das Gute damals halt über das Böse obsiegen musste, als am Unvermögen des bis dahin so gut wie unnahbaren Grafen.

Auf jeden Fall hatte der Vampir hier den entscheidenden Schritt vom lebenden Leichnam zum dunkel strahlenden Antihelden vollzogen. Einem Wesen, dessen Verbrechen man seinem Fluch anlasten konnte, mit dessen Hilfe man in einem öffentlichen Roman versteckt sexuelle Praktiken beschreiben konnte (man lese die Verführung Jonathan Harkers durch die drei weiblichen Vampire in Draculas Schloss) und welches eine mystische Romantik umgibt.

Wer wäre nicht gerne jener reiche, gut gekleidete, gebildete und unwiderstehliche Lord Ruthven gewesen, welchem die schönsten Ladies der Aristokratie zu Füssen lagen und der faktisch tun konnte, was immer er auch wollte? Der jedem normalen Mann weit überlegen war?

Schon immer war der Mensch ein Wesen, dass dazu neigte zu irgendwelchen Überwesen aufzuschauen. Seien es die verschiedensten Götter, Monarchen oder sagenhaften Helden. Und in dieses Pantheon reihte sich schließlich auch der "moderne" Vampir ein.

Kein Wesen mehr, welches man über alles fürchtet und verabscheut, sondern ein Überwesen, welches man wegen seiner Unsterblichkeit, seiner übernatürlichen Kräfte, seiner unwiderstehlichen Ausstrahlung und Schönheit, beneidet und bewundert. 
Und so war es nur eine Frage der Zeit, dass sich immer mehr Menschen in die Gemeinde der Vampir-Fans einreihten, welche sich eines steten Wachstums erfreut.

Mittlerweile überwiegen die Romane, in denen der Vampir der Hauptprotagonist ist und am Ende der Geschichte nicht von irgendeinem Vampirjäger a la van Helsing vernichtet wird. Denn die Vampire und nicht länger mehr die Menschen sind die Helden dieser Romane. Und wenn Vampire getötet werden, dann meist durch andere verfeindete Vampire, nicht durch einen heldenhaften Menschen.

Und man beneidet den Vampir auch nicht nur, sondern man bedauert ihn auch. Oder besser gesagt, man leidet mit ihm, ob der Ewigkeit, die er ertragen muss. Denn man fragt sich, ob es wirklich so wünschenswert ist, unsterblich zu sein? Alles zu verlieren, was man jemals geliebt und gekannt hat, weil man selber außerhalb des Kreislaufes von Leben und Tod steht. 
Und damit wird der Vampir schlussendlich nicht nur zu einem Überwesen, welches man vergöttert und beneidet, sondern gleichsam zu einem Wesen, mit dem man auch Mitgefühl hat.

Wir sehen also, dass die Figur des Vampirs im Laufe der Zeit einen enormen Wandel vollzogen hat. Nicht zuletzt, weil er immer wieder den vorherrschenden Bedürfnissen der sich ändernden Menschheit angepasst wurde. 
Und so hat heute jede Generation ihre Helden. Seien es irgendwelche Anime-Figuren oder auch Superhelden wie Superman, Batman, Spiderman usw., Superagenten wie James Bond und unter vielen anderen eben auch die verschiedenen Vampirpersönlichkeiten aus Film und Literatur. Dies alles sind heutzutage die "fiktiven" Wesen, welche die Götter der alten Zeit bei den meisten Menschen abgelöst haben. 
Denn in unserer ach so aufgeklärten Welt, ist der Glaube an die Götter erloschen. Und da ist der Vampir durchaus eine vertretbare Alternative.

Nur zu gerne würden wir genau so sündigen - ohne Furcht, die Strafe dafür erleiden zu müssen, selbst in religiöser Hinsicht nicht, denn schließlich kann der Vampir ja nichts für seine Natur, welche ihm in der Regel unter Zwang "aufgebürdet" wurde. Nur zu gerne wären wir ebenso stark, so attraktiv, derart unwiderstehlich dem anderen Geschlecht gegenüber und ebenso gefeit gegen Krankheiten und Tod, wie eben der Vampir.

Ist es da ein Wunder, dass so viele ihn so faszinierend finden und nur zu gerne von einem Lestat den dunklen Kuss bekämen, um selber zu solch einem mächtigen Wesen zu werden?

Allerdings sollte man mit seinen Wünschen vorsichtig sein, denn sie könnten sich schließlich erfüllen. ;} 

Heshthot S.
(08.07.04)