Die Götter

 

Der wichtigste Zugang zum Geisteserbe unserer keltischen Vorfahren ist die britannische Überlieferung, die uns die Grundlagen keltischen Denkens und eine Vielzahl mythischer Erfahrungen übermittelt, die sie mit der keltischen Tradition des europäischen gemeinsam hat – oft bis in kleinste Details. Die Gottheiten der Inselkelten weichen aber von denen der kontinentalen Überlieferung ganz erheblich ab. Hier beschreiben wir die von rein keltisch orientierten Heiden weniger beachteten Gottheiten der kontinentalen Tradition, die in Österreich verehrt wurden, und vergleichen sie mit den germanischen Gottheiten. 

Die 374 Götter der Kelten
Die Unterschiede zwischen insulare und kontinentaler Tradition erklären sich dadurch, daß die keltischen Seher sehr genau auf die regionalen Verschiedenheiten der Natur achteten, mit der die Götter eins sind und in denen sie sich auch verschieden zeigen. Daher riefen sie die Götter unter zahllosen – bekannt sind 374 – Namen an, von denen die Mehrzahl regional verschiedene Erscheinungsformen derselben Gottheiten bezeichnen und in der Römerzeit oft gemeinsam mit den Hauptnamen genannt wurden, z.B. "Mars Teutates Latobius" für den mit Mars, dem Stammesgott der Römer, gleichgesetzten Teutates als Stammesgott der Kärntner Latobiker. Eine Inschrift aus Seggau nennt ihn sogar "Mars Latobius Marmogenius Toutates Sinates Mogetius".

Zudem drückten die Druiden Geheimnis und Unendlichkeit des Göttlichen durch größtmögliche mythische Vielfalt, Vielschichtigkeit und Vieldeutigkeit aus. Jede keltische Gottheit hat daher eine Vielzahl von Gestalten, die oft in Dreiheiten verbunden sind, oft aber auch allein stehen. Das macht ein „systematisches” Verständnis nach römischem Vorbild unmöglich: Allein für den römischen Mars finden sich auf Inschriften 69 verschiedene keltische Entsprechungen. 

Teutates, Taran und Esus
Der meistgenannte „Mars” ist Teutates, der „göttliche Vater” (Teu-tates) oder „Stammesvater” (Teuto-tates), den Caesar wohl meinte, als er schrieb, die Gallier stammten von „Dis pater” ab, dem römischen Ahnengott. Er wurde auch mit Jupiter verglichen und bildete laut antiken Autoren zusammen mit dem Donnergott Taran oder Taranis und dem Fruchtbarkeitsgott Esus die Trias der Hauptgötter Galliens und anderer keltischer Länder, die ebenfalls "Gallia" genannt wurden (z.B. das keltische Oberitalien "Gallia cisalpina"). Die Verehrung der drei Hauptgötter ist auch in Österreich durch Inschriften aus der Römerzeit bezeugt.

Teutates können wir dann, wenn sein Name von Teu-tates kommt, mit Tyr vergleichen, in seiner hauptsächlichen Verehrung als Stammesvater (Teuto-tates) entspricht er aber Odin. Teutates heißt in Irland Ollathair, „Allvater”. Als weiterer „irischer Teutates” gilt Donn, ein Totengott, denn der Stamm wurzelt in den toten Ahnen. Im selben Sinn ist auch Odin Stammes- und Totengott. Teutates und Odin werden deshalb auch mit dem römischen Begleiter ins Totenreich, Merkur, gleichgesetzt. Die heiligen Tiere des Teutates sind das Pferd (wie bei Odin), und der Widder oder die Widderkopfschlange, die auch durch S-Spiralen symblisiert wird.

Wenn so Teutates am besten mit Odin vergleichbar ist, so entspricht Taran eindeutig Thor: Er ist ein Donnerer, Beschützer des Volkes und Krieger, der wie Teutates mit Mars und Jupiter gleichgesetzt wurde. Jupiter ist auch die römische Entsprechung Thors/Donars, denn der Jupiter-Tag ist der Donnerstag (engl. Thursday). Taran ist der „Radgott” keltischer Altäre (wie in Ansfelden, OÖ) und damit auch eng mit dem Rad der Jahreszeiten verbunden. Wie Teutates ist auch Taran das Pferd heilig.

Über Esus streiten sich die Gelehrten. Da er als Bauer dargestellt wird und die Trias der Götter offenbar der dreigliedrigen keltisch-germanischen Sozialordnung entspricht, ist er am ehesten als Gott des Nährstands zu sehen, der um Fruchtbarkeit und Erfolg angerufen wurde und somit ein keltischer Freyr ist – der bäuerliche neben dem „wilden” Cernunnos, der aber auch manche Züge Odins trägt. Mit Freyr verbindet Esus auch sein heiliges Tier, der Eber. Von den Pflanzen ist ihm die Mistel geweiht. 

Die keltischen Göttinnen
Die Göttinnen sind im keltischen Mythos und Kult bedeutender als im germanischen. Ihre Verehrung schließt viel direkter an die vor-indogermanische Tradition der Großen Göttin an, ihre Mythen berichten deutlicher von der Macht der Göttinnen als Schöpferinnen, Magierinnen, Herrscherinnen der Anderswelt und spirituelle Führerinnen, von denen Helden und Götter in die Geheimnisse des Universums eingeweiht werden. Dieser Größe der keltischen Göttinnen entspricht am ehesten die umfassende Wesensart, mit der die germanischen Mythen Freyja beschreiben. In ihrer Macht über das Schicksal gleichen sie Frigg und den Nornen, in keltisch-germanischen Mischgebieten zeigen sie sich oft nach keltischer Tradition als Dreiheit mit germanischen Namen wie die Matronen. Die Urgestalt der keltischen Göttinnen ist die Mutter Erde, sie sind aber zugleich auch wie Frigg und Freyja himmlische Göttinnen.

Rigantona oder Rigani ist der kontinentalkeltische Name der Großen Göttin, der im Kymrischen zu Rhiannon wurde. Er bedeutet wörtlich "göttliche Königin". In der römischen Interpretation wird sie mit Minerva gleichgesetzt, wohl weil beide Heilerinnen und Schutzgottheiten der Städte bzw. der politischen Ordnung sind. Rigantona ist die geheimnisvolle Frau britannischer Mythen, die einen Kandidaten zum König erwählt, in anderer Erscheinungsform die Landesgöttin, die in Österreich Noreia hieß und mit Ostara identisch ist. Sie ist auch mit der Göttin der Donau verbunden, die im irischen Mythos die Mutter der Götter ist, die Tuatha Dé Danann, Volk der Göttin Danu, heißen. Rigantona erscheint auch als "Weiße Frau" oder als Reiterin auf einer weißen oder grauen Stute wie Rhiannon. Die "Weiße Göttin" inspiriert die Dichter und wird daher auch mit der irischen Brigid gleichgesetzt, die festlandkeltisch Brigantia hieß und der Stadt Bregenz den Namen gab.

Epona ist die Göttin der Pferde, deren Name "Pferdegöttin" oder "göttliche Stute" bedeutet. Da die österreichischen Kelten berühmte Pferdezüchter waren (die Rasse der Noriker geht auf ihre antiken Züchtungen zurück), wurde Epona viel verehrt. Keltische und germanische Kavalleristen in römischen Diensten verbreiteten ihren Kult im ganzen Imperium, und schließlich wurde Epona als einzige Gottheit eines nördlichen "Barbarenvolkes" auch von römischen Adeligen verehrt. Reiter und Züchter riefen sie nach Inschriften und Weihereliefs mehr oder weniger ausschließlich als Schützerin der Pferde und besonders der Fohlen an, doch Epona ist auch allgemein eine Göttin der Fruchtbarkeit und des Wachstums und gerade durch ihre Beziehung zum Pferd, das seit jeher als Totemtier und Krafttier schamanischer Fähigkeiten heilig ist, eine Göttin der Anderswelt und Führerin ins Jenseits und zur Wiedergeburt. Ein druidisches Rätsel nennt sie die Tochter eines gewissen Furius Stellus – "roter Stern", also Mars = Teutates – und einer weißen Stute – der Großen Göttin Rigantona als Andersweltherrin. Epona ist also auch die Tochter des höchsten Götterpaares und damit die Große Göttin selbst in ihrer Jugendgestalt.


Cernunnos, der Gehörnte Gott
Von den männlichen Gottheiten erscheint vor allem Cernunnos, der hirschhörnige Gott des Waldes, wie die Göttin als Andersweltbote den Menschen, die im Wald nach Wissen, einem Weg oder auch nach Nahrung suchen. In der Wicca-Tradition wird Cernunnos als der Gehörnte Gott verehrt, der Begleiter und Mitschöpfer der Großen Göttin, der von den Christen im wörtlichen Sinn "verteufelt" wurde. Cernunnos ist ein Gott der schöpferischen Naturkräfte, der Fruchtbarkeit und Zeugungskraft und daher mit Freyr vergleichbar, der ebenfalls den Hirsch als eines seiner heiligen Tiere hat. Als Waldgott steht er in innigster Beziehung zur Weisheit, die vom Wald kommt, und zum Symbol erdentstammter Weisheit, der Widderkopfschlange, die auch Teutates geweiht ist. So hat er auch Eigenschaften von Odin. Er verkörpert nicht zuletzt die Heiligkeit der freien Natur, die Freiheit der Wildnis und eine „wilde” menschliche Freiheit. Nach dem mythischen Begleiter von Herne the Hunter, wie Cernunnos in England heißt, nannte sich ein berühmter Freiheitsheld Robin Hood. 

Andere keltische Gottheiten 
Cernunnos war sicherlich auch gemeint, wenn Kelten Weihesteine für Silvanus setzten, denn das ist der römische Waldgott. Weniger zu den Göttern als zu Naturgeistern von der Art der Alben gehört der Genius Cucullatus, der nach dem heimischen keltischen Kapuzenmantel benannt ist und sich Reisenden und Bergleuten mit diesem Mantel bekleidet zeigt. In der alpinen Volksüberlieferung ist er das "Pechmandl" oder "Kasermandl". Auch andere Naturgeister, von denen die Volkstradition berichtet, wurden zweifellos schon von den Kelten wahrgenommen, so z.B. die Saligen, deren Name keltisch ist. Die Verehrung anderer Gottheiten ist nur durch Einzelfunde belegt.