Mit freundlicher Genehmigung der Webmaster von bibliothéque des vampires

Christabel

(Samuel Taylor Colridge, 1797 - 1815)

Teil I

Es ist Mitternacht nach der Turmuhr, und die Eulen haben den krähenden Hahn geweckt: tu-witt! - tu-huh! Und horch, noch einmal! der krähende Hahn, wie schläfrig er krähte.

Sir Leoline, der reiche Graf, hat eine zahnlose Dogge; aus ihrer Hütte unter dem Felsen gibt sie dem Glockenschlag Antwort, vier für die Viertelstunden und zwölf für die Stunde; immer und ewig, bei Sonne und Regen, sechzehn kurze Klagetöne, nicht zu laut; manche sagen, sie sieht das Leichentuch der Herrin.

Ist die Nacht frostig und düster? Die Nacht ist frostig, aber nicht düster. Die dünnen, grauen Wolken sind hoch oben ausgebreitet, sie bedecken den Himmel, doch verhüllen ihn nicht. Der Mond ist dahinter, und es ist Vollmond; und doch sieht er klein und matt aus. Die Nacht ist frostig, die Wolken sind grau: Es ist ein Monat vor dem Monat Mai, und der Frühling zieht hier nur langsam herauf.

Das liebliche Edelfräulein, Christabel, die ihr Vater so sehr liebt, was bringt sie so spät in den Wald, unweit vom Burgtor? Sie träumte die ganze letzte Nacht von dem ihr anverlobten Ritter; und sie will in dem mitternächtlichen Wald für das Heil ihres Liebsten beten, der weit weg ist.

Sie huschte entlang, sie sprach kein Wort, die Seufzer, die sie ausstieß, waren leise und schwach, und nichts war grün auf der Eiche als Moos und spärliche Mistel: sie kniet unter der mächtigen Eiche, und schweigend betet sie.

Das Fräulein sprang plötzlich auf, das liebliche Fräulein, Christabel! Etwas stöhnte so nahe, wie es näher nicht sein kann, doch was es ist, kann sie nicht sagen. - Auf der anderen Seite des mächtigen, breitbrüstigen, alten Eichenbaums scheint es zu sein.

Die Nacht ist frostig; der Wald kahl; ist es der Wind, der dumpf stöhnt? Es ist nicht Wind genug in der Luft, um die Ringellocke von der Wange des lieblichen Fräuleins zu wehen - es ist nicht Wind genug, um das eine rote Blatt, das letzte seines Geschlechts, zu bewegen, das so oft tanzt, wie es nur tanzen kann, das so leicht hängt und so hoch hängt an dem obersten Zweig, der zum Himmel aufblickt.

Still, klopfendes Herz von Christabel! Jesus, Maria, beschirmt sie gut! Sie verschränkte ihre Arme unter dem Mantel und huschte auf die andere Seite der Eiche. Was sieht sie dort?

Dort sieht sie ein Mädchen leuchtend hell, gekleidet in ein weißes Seidengewand, das schattenhaft im Mondlicht schimmerte: Der Hals, der das weiße Gewand blass erscheinen ließ, ihr stolzer Hals und ihre Arme waren bloß; ihre blau-geäderten Füße waren unbeschuht, und wild glitzerten hier und da die Edelsteine, die in ihr Haar geflochten waren. Ich glaube, es war erschreckend, dort ein Edelfräulein so reich gekleidet wie sie zu sehen - über alle Maßen schön!

Mutter Maria, steh mir bei, sagte Christabel, und wer bist du?

Das fremde Fräulein gab geziemend Antwort, und ihre Stimme war schwach und süß: Erbarme dich meiner tiefen Not, ich kann kaum sprechen vor Erschöpfung: Streck deine Hand aus, und fürchte dich nicht, sagte Christabel, wie kamst du hierher? Und das Fräulein, dessen Stimme schwach und süß war, fuhr fort mit ihrer geziemenden Antwort:

Mein Vater ist von edlem Geschlecht, und ich heiße Geraldine: Fünf Krieger ergriffen mich gestern früh, mich, gerade mich, ein hilfloses Mädchen: Sie erstickten meine Schreie mit Gewalt und Drohung und banden mich auf einen weißen Zelter. Der Zelter war schnell wie der Wind, und sie ritten ungestüm hinterher. Sie ritten geschwind, ihre Rosse waren weiß: Und einmal durchquerten wir den Schatten der Nacht. So gewiss wie mich der Himmel retten soll, habe ich keine Vorstellung, was für Männer es sind; noch weiß ich, wie lange es her ist (denn ich habe betäubt gelegen, fürwahr), seit einer, der größte von den fünfen, mich vom Rücken des Pferdes nahm, eine erschöpfte Frau, kaum noch lebendig. Einige gemurmelte Worte sprachen seine Gefährten: Er legte mich hier unter die Eiche; er schwor, sie würden schnell zurückkehren; wohin sie ritten, kann ich nicht sagen - ich glaubte, ich hörte vor einigen Minuten Schläge wie von einer Turmuhr. Streck deine Hände aus (so schloss sie) und hilf einem unglücklichen Mädchen zu fliehen.

Da streckte Christabel ihre Hand aus und tröstete die holde Geraldine: O gern, schönes Fräulein! könnt Ihr über die Dienste Sir Leolines verfügen; und freudig wird er unsere kühne Ritterschaft aussenden und Freunde überdies, um Euch sicher und frei schützend heim zu dem Sitz Eures edlen Vaters zu geleiten.

Sie erhob sich: Und fort gingen sie mit Schritten, die schnell sein wollten und es nicht waren. Ihre gütigen Sterne segnete das Fräulein, und die liebliche Christabel sprach so weiter: Unser ganzes Haus hat sich zur Ruhe gelegt, die Halle ist still wie die Zelle; Sir Leoline ist bei schwacher Gesundheit und sollte besser nicht aufgeweckt werden, aber wir wollen uns in aller Heimlichkeit bewegen, und ich bitte Euch zu geruhen, für diese Nacht Euer Lager mit mir zu teilen.

Sie überquerten den Burggraben, und Christabel nahm den Schlüssel, der gut passte; eine kleine Tür öffnete sie sogleich, ganz in der Mitte des Tores; das Tor, das innen und außen mit Eisen beschlagen war, wo ein Heer in Schlachtordnung aufmarschiert war. Das Fräulein sank nieder, wohl wie im Schmerz, und Christabel hob sie auf mit ihrer ganzen Kraft, eine beschwerliche Last, über die Schwelle des Tores: Da erhob sich das Fräulein wieder und ging weiter, als hätte sie keine Schmerzen.

So, befreit von Gefahr, befreit von Furcht, überquerten sie den Hof: Von Herzen froh waren sie. Und Christabel sagte andächtig zu dem Fräulein an ihrer Seite, lass uns die himmlische Jungfrau lobpreisen, die dich aus deiner Not errettet hat! O weh, o weh! sagte Geraldine, ich kann nicht sprechen vor Erschöpfung. So, befreit von Gefahr, befreit von Furcht, überquerten sie den Hof: Von Herzen froh waren sie.

Draußen vor der Hütte lag die alte Dogge in tiefem Schlaf, im kalten Mondschein. Die alte Dogge erwachte nicht, doch stieß sie einen zornigen Klagelaut aus! Und was kann der Dogge fehlen? Bis heute hat sie noch niemals angeschlagen unter den Augen von Christabel. Vielleicht ist es der Schrei des Käuzchens: Denn was kann der alten Dogge fehlen?

Sie gingen durch den Saal, der immer widerhallt, auch wenn man noch so leicht hindurchgeht! Die Scheite brannten niedrig, die Scheite verglühten und lagen in ihrer eigenen weißen Asche; doch als das Fräulein vorbeiging, schlug eine Feuerzunge empor, eine plötzliche Flamme; und Christabel sah das Auge des Fräuleins, und nichts anderes sah sie da als den Knauf von Sir Leolines großem Schild, der in einer düsteren, alten Wandnische hing. Oh, geh leise, sagte Christabel, mein Vater schläft selten gut.

Die liebliche Christabel entblößt ihre Füße, und voll Argwohn gegen die lauschende Luft stehlen sie sich auf ihrem Weg von Treppe zu Treppe, bald im schwachen Schein und bald im Dunkeln, und jetzt gehen sie am Gemach des Grafen vorbei, so still wie der Tod, mit angehaltenem Atem! Und jetzt haben sie die Tür ihrer Kemenate erreicht; und jetzt tritt Geraldine die Binsenstreu auf dem Fußboden der Kemenate nieder.

Der Mond scheint draußen trübe, und nicht ein Mondstrahl dringt hier ein. Aber sie können ohne sein Licht die Kemenate sehen, die so kunstvoll geschnitzt ist, geschnitzt mit sonderbaren und lieblichen Figuren, alle dem Kopf des Bildhauers entsprungen, wie sie der Kemenate eines Edelfräuleins geziemen: Die Ampel ist mit einer zweifachen Silberkette an den Füßen eines Engels befestigt.

Die Silberampel brennt matt und trüb; und Christabel will die Ampel richten. Sie richtete die Ampel und machte sie hell und ließ sie hin und her schwingend zurück, während Geraldine in elendem Zustand auf den Boden niedersank.

O erschöpftes Fräulein, Geraldine, ich bitt Euch, trinkt diesen stärkenden Wein! Es ist ein Wein von wirksamer Kraft; meine Mutter machte ihn aus wilden Blumen.

Und wird Eure Mutter Mitleid mit mir haben, die ich ein ganz hilfloses Mädchen bin? Christabel antwortete - Ach ich Ärmste! Sie starb in der Stunde, als ich geboren wurde. Ich hörte den grauhaarigen Mönch erzählen, wie sie auf dem Totenbett gesagt habe, sie würde die Turmuhr an meinem Hochzeitstag zwölf schlagen hören. Ach liebe Mutter! dass du hier wärest! Ich wünschte, sagte Geraldine, sie wäre es!

Doch bald sagte sie mit veränderter Stimme: „ Fort, ruhelose Mutter! Gram sei dir und Harm! Ich habe Macht, dich fliehen zu heißen.“ O weh, was fehlt der armen Geraldine? Warum starrt sie mit unstetem Blick? Kann sie die körperlosen Toten erblicken? Und warum ruft sie mit hohler Stimme: Fort, Weib, fort! diese Stunde ist mein - bist du auch ihr Schutzgeist, fort, Weib, fort! diese Stunde ist mir gegeben.“

Da kniete Christabel neben dem Fräulein nieder, und zum Himmel erhob sie ihre Augen so blau - O weh! sagte sie, dieser grausige Ritt - liebes Fräulein! er hat Euch verwirrt! Das Fräulein wischte sich die feuchte, kalte Stirn ab und sagte mit schwacher Stimme: „Es ist jetzt vorüber!“

Noch einmal trank sie von dem Wein aus wilden Blumen: Ihre schönen, großen Augen begannen hell zu glitzern, und von dem Boden, auf den sie gesunken war, richtete sich das stolze Fräulein auf: Sie war so wunderschön anzusehen, wie eine Edelfrau aus fernem Land.

Und so sprach das stolze Fräulein: „Alle, die im höchsten Himmel wohnen, lieben Euch, fromme Christabel! Und Ihr liebt sie, und um ihretwillen und um des Guten willen, das mir zuteil wurde, will auch ich nach meinem Rang versuchen, schönes Mädchen, Euch wohl zu belohnen. Doch nun entkleidet Euch; denn ich muss noch beten, bevor ich mich ins Bett lege.“

Da sagte Christabel: So soll es sein! Und tat wie sie das Fräulein hieß. Ihre zarten Glieder entkleidete sie und legte sich nieder in ihrer Lieblichkeit.

Doch durch ihren Sinn bewegten sich so viele Gedanken von Wohl und Wehe, dass es vergeblich gewesen wäre, die Augen zu schließen; so richtete sie sich in ihrem Bett halb auf und stützte sich auf ihren Ellbogen, um das Fräulein Geraldine anzusehen.

Unter der Ampel beugte sich das Fräulein nieder und ließ langsam ihre Augen umherwandern; dann zog sie laut den Atem ein wie jemand, den es schauderte, und löste den Gürtel unter ihrer Brust: Ihr seidenes Kleid und ihr Untergewand glitten nieder auf ihre Füße, und ganz sichtbar, sieh! ihr Busen und ihre Seite zur Hälfte - ein Anblick zum Träumen und nicht zum Aussprechen! O beschirmt sie! Beschirmt die liebliche Christabel!

Doch Geraldine spricht nicht und rührt sich nicht; oh! wie betroffen war ihr Blick! Tief aus ihrem Innern scheint sie halbwegs eine Last krankhaft und mühselig emporzuheben und richtet ihre Augen auf das Mädchen und sucht Aufschub; dann plötzlich, wie herausgefordert, sammelt sie sich in Verachtung und Stolz und legte sich an die Seite des Mädchens! - Und sie nahm das Mädchen in ihre Arme, o wehe! Und mit leiser Stimme und traurigem Blick sagte sie diese Worte: „In der Berührung dieses Busens wirkt ein Zauber, der Herr über deine Worte ist, Christabel! Du weißt heut Nacht und wirst morgen wissen um dieses Zeichen meiner Schande, dieses Siegel meines Leids; doch vergeblich sträubst du dich, denn nur dies allein ist in deiner Macht zu sagen, dass du in dem dunklen Wald ein leises Stöhnen hörtest und ein hell leuchtendes Edelfräulein fandest, über alle Maßen schön; und sie mit nach Hause nahmst in Liebe und Barmherzigkeit, um sie zu beschützen und zu beschirmen vor der feuchten Luft.“

Der Schluss von Teil I

Es war ein lieblicher Anblick, das Fräulein Christabel zu sehen, als sie bei dem alten Eichbaum betete. Inmitten der gezackten Schatten moosbewachsener, blattloser Äste, im Mondschein kniend, um ihre frommen Gelübde abzulegen; ihre schmalen Handflächen zusammengepresst, die sich zuweilen auf ihrer Brust hoben und senkten; ihr Gesicht der Seligkeit oder dem Verderben still ergeben - ihr Gesicht, o nennt es hell, nicht bleich, und die beiden blauen Augen eher glänzend als klar, und in jedem stieg eine Träne auf.

Mit offenen Augen (wehe mir!) schlafend und Furchtbares träumend, Furchtbares träumend, doch gewiss nur das träumend, was - o Schmerz und Schande! Kann dies sie sein, das Fräulein, das am alten Eichbaum kniete? Und seht! die dieses Unheil verursacht hat und das Mädchen in den Armen hält, scheint ruhig und sanft zu schlummern, wie eine Mutter mit ihrem Kind.

Ein Stern ist versunken, ein Stern ist aufgegangen, o Geraldine! seitdem deine Arme das liebliche Fräulein gefangen haben. O Geraldine! eine Stunde war dein - du hattest deinen Willen! Am Bergsee und am Bach waren die Nachtvögel diese ganze Stunde lang still. Doch nun jubilieren sie aufs neue von Klippe und Turm, tu-huh! tu-huh! tu-huh! tu-huh! aus Wald und Moor!

Und seht! das Fräulein Christabel erwacht aus ihrem Zauberschlaf; ihre Glieder entspannen sich, ihr Antlitz wird ernst und weich; die zarten, dünnen Lider schließen sich über ihren Augen; und Tränen vergießt sie - große Tränen, die unter den glänzenden Wimpern hervorkommen! Und währenddessen scheint sie oft zu lächeln, wie Kinder bei einem plötzlichen Licht!

Ja wirklich, sie lächelt, und sie weint, wie eine junge Einsiedlerin, schön in der Wildnis, die, da sie immer betet, auch im Schlafe betet. Und wenn sie sich unruhig bewegt, ist es vielleicht nur das Blut, das so ungehemmt zurückfließt und in ihren Füßen prickelt. Kein Zweifel, sie hat ein liebliches Traumbild. Wie, wenn es ihr Schutzgeist wäre, wie, wenn sie ihre Mutter nahe wüsste? Doch dieses weiß sie, in Freuden und Schmerzen, dass die Heiligen helfen, wenn die Menschen sie nur anrufen: Denn der blaue Himmel wölbt sich über allen!

Teil II

Jede Morgenglocke, sagt der Graf, läutet uns zurück in eine Welt des Todes. Diese Worte sprach Sir Leoline zum ersten Mal, als er sich erhob und sah, dass seine Gemahlin tot war: Diese Worte wird Sir Leoline noch manchen Morgen bis zu seinem Todestag sagen!

Und daraus entsprang der Brauch und die Regel, dass stets zur Morgendämmerung der Küster, der pünktlich die schwere Glocke läutet, fünfundvierzig Rosenkranzperlen beten muss zwischen jedem Schlag - ein Mahngeläut, dessen Klang sich keine Seele verschließen kann von Bratha Head bis Wyndermere.

Sagt Bracy, der Barde: So lass es läuten! Und lass den schläfrigen Küster immer zählen, so langsam er kann! Es fehlt, wähne ich, nicht an solchen, die die Pausen dazwischen gut ausfüllen. In Langdale Pike und Witch’s Lair und Dungeon-ghyll, so böse zerklüftet, sind, mit Strängen aus Fels und Glocken aus Luft, die Geister von drei sündigen Küstern eingeschlossen, die alle, einer nach dem anderen, den Ton des Todes ihrem lebenden Bruder zurückgeben; und oft verspottet auch, durch die Totenglocke erzürnt, gerade wenn ihr Eins! Zwei! Drei! vorbei ist, der Teufel ihre traurige Geschichte mit einem fröhlichen Geläut aus Borodale.

Die Luft ist still! Durch Nebel und Wolken erklingt laut dieses fröhliche Geläut; und Geraldine schüttelt ihre Furcht ab und erhebt sich behende aus dem Bett; legt ihre weißen Seidengewänder an und ordnet ihr Haar zu lieblichem Aussehen, und ohne den geringsten Zweifel an der Kraft ihres Zaubers weckt sie das Fräulein Christabel. „Schlaft Ihr, schönes Fräulein Christabel? Ich hoffe, Ihr ruhtet gut.“

Und Christabel erwachte und erblickte die gleiche, die sich an ihrer Seite niedergelegt hatte - ach, sagt lieber, die gleiche, die sie unter dem alten Eichbaum aufhob! Nein, schöner noch! und noch viel schöner! Denn sie hat wohl tief vom Segen des Schlafs getrunken! Und während sie sprach, tun ihre Blicke, ihre Miene solch edle Dankbarkeit kund, dass (so schien es) ihr gegürtetes Gewand unter ihrer wogenden Brust enger wurde. „Gewiss habe ich gesündigt!“ sagte Christabel. „Nun sei dem Himmel Dank, wenn alles gut ist!“ Und mit leiser, stockender Stimme, doch anmutig, begrüßte sie das stolze Fräulein mit solcher Verwirrung des Gemüts, wie zu lebhafte Träume sie zurücklassen.

So erhob sie sich schnell und bekleidete schnell ihre jungfräulichen Glieder, und nachdem sie gebetet hatte, dass Er, der am Kreuz seufzte, ihre unbewussten Sünden abwaschen möge, geleitete sie sogleich die schöne Geraldine vor ihren Vater, Sir Leoline.

Das liebliche Mädchen und das schlanke Fräulein schreiten beide in die Halle, schreiten weiter vorbei an Page und Diener und betreten den Empfangsraum des Grafen.

Der Graf erhob sich, und während er seine zarte Tochter an die Brust drückte, erblickt er in frohem Erstaunen in den Augen das Fräulein Geraldine und hieß dieselbe auf solche Weise willkommen, wie es einer so schönen Dame gebührte!

Doch als er die Geschichte des Fräuleins hörte und als sie den Namen ihres Vaters nannte, warum wurde Sir Leoline da so bleich und murmelte noch einmal den Namen vor sich hin, Lord Roland de Vaux von Tryermaine?

Ach! sie waren in ihrer Jugend Freunde gewesen; doch flüsternde Zungen können die Wahrheit vergiften; und die Beständigkeit lebt in himmlischen Gefilden; und das Leben ist dornig; und die Jugend ist eitel; und jemandem zu zürnen, den man liebt, wütet im Kopf wie Wahnsinn. Und so geschah es, wie ich vermute, mit Roland und Sir Leoline. Jeder sprach Worte tiefer Verachtung und Kränkung zum liebsten Bruder seines Herzens: Sie trennten sich - um sich nie wieder zu sehen! Doch keiner fand einen anderen, der das leere Herz vom Schmerz befreite - sie standen allein, doch die Narben blieben, wie Klippen, die auseinander gerissen worden waren; ein ödes Meer fließt jetzt zwischen ihnen; - doch weder Hitze noch Frost noch Donner, so wähne ich, werden je ganz die Spuren verwischen von dem, was einstmals war.

Sir Leoline stand einen Augenblick lang und betrachtete das Gesicht des Mädchens: Und der junge Lord von Tryermaine kehrte wieder in sein Herz zurück.

Oh, da vergaß der Graf sein Alter, sein edles Herz schwoll an im Zorn; er schwor bei dem Wundmal in Jesu Seite, er würde es weit und breit verkünden, mit Trompetenstoß und feierlichem Heroldsruf, dass die, welche dem Fräulein Unrecht getan hatten, so erbärmlich wie befleckte Niedertracht wären! „Und wenn sie das abzustreiten wagen, soll mein Herold eine Woche festsetzen und die schmächlichen Verräter meinen Turnierplatz aufsuchen lassen - so dass ich dort und dann ihre Natternseele aus ihrem Leib und ihrer Menschengestalt vertreiben kann!“ Er sprach’s: Seine Augen rollen in blitzendem Zorn! Denn das Fräulein war grausam überfallen worden; und überdies war das schöne Fräulein das Kind seines Freundes!

Und nun waren Tränen auf seinem Gesicht, und zärtlich schloss er die schöne Geraldine in seine Arme, die die Umarmung erwiderte und sie mit freudigem Blick verlängerte. Als sie dieses sah, überkam eine Vision die Seele der Christabel, die Vision der Furcht, die Berührung und der Schmerz! Sie schreckte zurück und erschauerte und sah noch einmal - (Ach, weh mir! War es dir bestimmt, zartes Mädchen! solche Bilder zu sehen?)

Noch einmal sah sie jenen welken Busen, noch einmal fühlte sie jenen kalten Busen und zog den Atem ein mit einem zischenden Laut: Worauf sich der Ritter verstört umdrehte und nichts sah als sein eigenes liebes Mädchen mit emporgewandtem Blick, wie jemand, der betete.

Die Berührung, das Bild waren vorüber, und an ihre Stelle hatte jene selige Vision, die ihren Schlaf danach erquickt hatte, während sie in den Armen des Fräuleins lag, ein Entzücken an ihre Brust gelegt und auf ihren Lippen und über ihre Augen Lächeln wie Licht bereitet!
Aufs neue erstaunt sagte der Graf: „Was fehlt denn meinem geliebten Kind?“ - Seine sanfte Tochter gab Antwort: „Alles wird noch gut werden!“ Ich wähne, sie war nicht imstande, etwas anderes zu sagen: So mächtig war der Zauber.

Doch wer diese Geraldine sah, hätte sie sicherlich für ein göttliches Wesen gehalten: Solchen Kummer verband sie mit solcher Anmut, als fürchte sie, sie hätte die liebliche Christabel, dieses sanfte Mädchen, gekränkt! Und mit solch demütiger Stimme flehte sie, sie möge ohne Zögern Heim zum Sitz ihres Vaters geschickt werden. 
„Nein! Nein, bei meiner Seele!“ sagte Sir Leoline. „He! Barcy, der Barde, der Auftrag sei dein! Geh du mit süßer und lauter Musik, und nimm zwei Rosse mit stolzem Geschirr, und nimm den Jüngling, den du am liebsten hast, um deine Harfe zu tragen, und lerne dein Lied, und kleidet euch beide in feierliche Gewänder, und eilt über die Berge, damit nicht fahrendes Volk, das unterwegs ist, euch auf der Straße im Tal aufhalte.

„Und wenn er den Irrthing-Strom überquert hat, mein fröhlicher Barde! eilt er, eilt er Knorren Moor hinauf, durch Halegarth Wood, und erreicht bald die gute Burg, die drohend über Schottlands Einöden emporragt.

„Barde Barcy! Barde Barcy! deine Pferde sind flink, du musst die Halle hinaufreiten, deine Musik so süß, lauter als die hallenden Hufe deiner Pferde! Und rufe laut und laut Lord Roland zu, deine Tochter ist in Sicherheit auf Langdale! Deine schöne Tochter ist in Sicherheit und frei - Sir Leoline grüßt dich hiermit durch mich! Er bittet dich, ohne Aufschub zu kommen, mit all deiner zahlreichen Gefolgschaft, um deine liebliche Tochter heimzuholen: Und er wird dir entgegenziehen mit all seiner zahlreichen Gefolgschaft, weiß vom Schaum ihrer schnaubenden Zelter: Und, bei meiner Ehre! ich will sagen, dass mich der Tag reut, da ich Worte grimmiger Verachtung sprach zu Roland de Vaux von Tryermaine! - - Denn seitdem jene böse Stunde vergangen ist, hat die Sonne manch eines Sommers geschienen; doch nie habe ich wieder einen Freund gefunden wie Roland de Vaux von Tryermaine.

Das Fräulein sank nieder und umfasste seine Knie, ihr Antlitz emporgehoben, ihre Augen überströmend; und Barcy antwortete mit stockender Stimme, seinen anmutigen Gruß allen entbietend! - „Deine Worte, o Vater der Christabel, sind freundlicher, als meine Harfe erzählen kann; doch dürfte ich eine Gunst von dir erlangen, so sollte am heutigen Tag meine Reise nicht sein, solch seltsamen Traum habe ich gehabt, dass ich schwor, mit lauter Musik den Wald da drüben vom Fluch zu reinigen, durch eine Vision in meinem Schlummer gewarnt! Denn in meinem Schlaf sah ich jene Taube, den sanften Vogel, den du liebst und beim Namen deiner eigenen Tochter rufst - Sir Leoline! ich sah eben diese Taube, wie sie umherflatterte und furchtsame Klagelaute ausstieß, allein im Wald zwischen den grünen Kräutern. Als ich das sah und als ich das hörte, fragte ich mich, was dem Vogel fehle, denn nichts konnte ich in seiner Nähe sehen außer dem Gras und den grünen Kräutern unter dem alten Baum.

„Und in meinem Traum, dünkte mich, ging ich, um zu ergründen, was sich dort finden könnte und was die Unruhe des lieblichen Vogels bedeutete, der so auf dem Boden lag und flatterte. Ich ging und spähte und konnte keine Ursache für seinen qualvollen Schrei erkennen; aber um seiner lieben Herrin willen bückte ich mich, wie mich dünkte, um die Taube aufzunehmen, und siehe! da erblickte ich eine leuchtende, grüne Schlange, die sich um ihre Flügel und um ihren Hals wand. Grün wie die Kräuter, auf denen sie versteckt lag, dicht neben dem Kopf der Taube duckte sie ihren Kopf; und mit der Taube hebt und bewegt sie sich, bläht ihren Hals, wenn jene es tut! Ich erwachte; es war Mitternacht, die Glocke hallte im Turm wider; doch obwohl mein Schlummer vorbei war, wollte dieser Traum nicht von mir weichen - er scheint auf meinen Augen zu leben! Und daher schwor ich, am gleichen Tage mit lauter Musik und heiligem Gesang durch den kahlen Wald zu gehen, damit sich nichts unheiliges dort aufhalte.“

So sprach Barcy: Unterdessen hörte ihm der Graf lächelnd nur halb zu; dann wandte er sich an das Fräulein Geraldine, seine Augen ganz voller Bewunderung und Liebe; und sagte mit feinem, höfischen Ton: „Liebliches Fräulein, Graf Rolands schöne Taube, mit stärkeren Waffen als Harfe und Gesang werden dein Vater und ich die Schlange zermalmen!“ Er küsste sie auf die Stirn, als er sprach, und Geraldine schlug auf Mädchenart ihre großen, leuchtenden Augen nieder, mit errötenden Wangen und feiner Artigkeit wandte sie sich von Sir Leoline ab; nahm leicht ihre Schleppe auf, die wieder über ihren rechten Arm herabfiel; und kreuzte die Arme über der Brust und duckte den Kopf auf ihren Busen und sah Christabel von der Seite an - Jesus, Maria, beschirmt sie gut!

Ein kleines Schlangenauge blinzelt matt und misstrauisch; und die Augen des Fräuleins, sie schrumpften in ihrem Kopf, jedes schrumpfte zu einem Schlangenauge, und mit etwas Arglist und mehr Furcht sah sie Christabel von der Seite an! Doch Christabel stolperte, in Trance benommen, auf dem unebenen Boden und erschauerte laut, mit einem zischenden Ton; und Geraldine wandte sich wieder um, und wie jemand, der Trost suchte, voller Erstaunen und voller Schmerz, richtete sie ihre großen, leuchtenden und göttlichen Augen verstört auf Sir Leoline.

Das Mädchen, o weh! ihre Gedanken sind dahin, sie sieht nichts - kein Bild als das eine! Das Mädchen ohne Falsch und Sünde, sie hatte, ich weiß nicht wie, auf fürchterliche Weise jenen Blick so tief in sich eingesogen, jene eingeschrumpften Schlangenaugen, dass alle ihre Gesichtszüge diesem einzigen Blick in ihre Seele ergeben waren: Und dass sie willenlos jenen Blick von dumpfem und tückischem Hass nachahmten! Und so stand sie, in Trance benommen, immer noch jenen Blick von der Seite abbildend, in erzwungener, unbewusster Verbundenheit direkt vor den Augen ihres Vaters - soweit ein solcher Blick in so unschuldigen und blauen Augen sein konnte!

Und als die Trance vorüber war, verweilte das Mädchen eine Zeitlang und betete innig; dann fiel sie dem Grafen zu Füßen: „Bei der Seele meiner Mutter flehe ich dich an, dass du diese Frau fortschickst!“ sagte sie: Und mehr konnte sie nicht sagen: Denn was sie wusste, konnte sie nicht aussprechen, da sie der mächtige Zauber überwältigt hatte.

Warum ist deine Wange so bleich und verstört, Sir Leoline? Dein einziges Kind liegt dir zu Füßen, deine Freude, dein Stolz, so schön, so unschuldig, so sanft; das Kind, für das deine Gemahlin starb! Oh, bei den Schmerzen ihrer lieben Mutter, denke nichts Böses von deinem Kind! Für sie und dich und für keinen anderen betete sie in dem Augenblick, bevor sie starb: Betete, dass das Kind, für das sie starb, die Freude und der Stolz ihres lieben Herrn werden möge! Jenes Gebet linderte ihre Todesqualen, Sir Leoline! Und willst du deinem einzigen Kind Unrecht tun, ihrem Kind und deinem?

Wenn in des Grafen Herz und Sinn Gedanken wie diese überhaupt Platz hatten, so steigerten sie bloß seinen Zorn und Schmerz und richteten dort nur Verwirrung an. Sein Herz war gespalten in Schmerz und Zorn, seine Wangen, sie zitterten, sein Blick war wild, entehrt so in seinem hohen Alter; entehrt durch sein einziges Kind, und seine ganze Gastfreundschaft für die gekränkte Tochter seines Freundes durch mehr als weibliche Eifersucht so zu einem schmachvollen Ende gebracht - er wandte sein Auge mit strengem Blick auf den edlen Barden und sagte mit schroffer, strenger Stimme: „Warum, Barcy! verweilst du noch hier? Ich hieß dich fortgehen!“ Der Barde gehorchte; und während er sich von seiner eigenen schönen Tochter abwandte, geleitete der betagte Ritter, Sir Leoline, das Fräulein Geraldine hinaus!

Der Schluss von Teil II

Ein kleines Kind, eine geschmeidige Elfe, die singt und für sich selbst tanzt, ein Märchenwesen mit roten, runden Wangen, das immer findet und niemals sucht, bietet dem Blick solch ein Bild, dass es eines Vaters Augen mit Licht erfüllt; und Freuden strömen so dicht und schnell auf sein Herz ein, dass er zuletzt nicht anders kann, als seiner Liebe Übermaß mit Worten ungewollter Bitterkeit auszudrücken. Vielleicht ist es hübsch, Gedanken, so ganz verschieden voneinander, zusammenzuzwingen; einen zerbrochenen Zauber zu murmeln und zu verspotten, mit Unrecht zu tändeln, das keinen Schaden tut. Vielleicht ist es auch angenehm und hübsch, bei jedem erregten Wort im Innern ein süßes Zurückschrecken von Liebe und Mitleid zu fühlen. Und was ist, wenn in einer Welt von Sünde (o Schmerz und Schande, wäre dieses wahr!) solche Verwirrung von Herz und Verstand selten von etwas anderem herrührt als von Zorn und Pein und so redet, wie sie es am häufigsten zu tun pflegt.