Ein teuflischer Traum

(1988 Copyright by Heshthot Sordul)


Das gehörnte Wesen kam näher. Man konnte schon seinen fauligen, schwefeligen Atem riechen. Ich lief weiter – lief, wie noch nie in meinem Leben. Aber je schneller ich rannte, um so langsamer schien ich mich vorwärts zu bewegen. Der Gehörnte kam näher und näher, sein sengender Atem verbrannte mir meinen Rücken. Kleine Flammen züngelten über meine Kleidung. Ich schrie – und erwachte schweißgebadet in meinem Bett. Ein Blick auf meine mit Leuchtziffern versehenen Uhr, deren phosphorzierenden Zeiger mattgrün neben meinem Bett leuchtete, zeigte mir, dass es kurz nach eins war. Ich hatte schon wieder geträumt. Dieser Traum verfolgte mich jede Nacht. Ich ging spazieren, verirrte mich auf einem Friedhof, fiel in ein Loch, landete in einem dunklen Tunnel, wurde von einem gehörnten Dämon angegriffen und verfolgt. Ich rannte und rannte, kam aber nicht vorwärts und wachte in dem Moment auf, in welchem ich anfing durch den heißen Atem meines schrecklichen Verfolgers zu brennen. Mit zitternden Fingern angelte ich mir eine Lucky Strike aus der Schachtel und verbrauchte drei Streichhölzer, bis ich den Glimmstängel endlich am brennen hatte. Tief zog ich den Rauch in meine Lunge. Und mit jedem Zug wurde ich ruhiger. Was hatte dieser Traum zu bedeuten, der mich jetzt schon seit Wochen am Schlafen hinderte? Ich zermarterte mir den Kopf, kam aber zu keinem Ergebnis. Ich legte mich, die Zigarette noch im Mund wieder hin, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und schloss die Augen. Aber das war ein Fehler. Sofort sah ich wieder den Gehörnten vor mir. Seine schräg stehenden gelben Augen verengten sich uns sein geiferndes mit spitzen Fangzähnen versehenes Maul zog sich teuflisch grinsend von einem der langen spitzen Ohren zum anderen. Seine lange gespaltene Zunge schoss zwischen den gelben Reißzähnen hervor. Und da sah ich den goldenen Ohrring, den der Gehörnte trug und ich wusste sofort, dass ich diesen Ring bereits an einem anderen Ort und an einem anderen Ohr gesehen hatte. Ich riss die Augen wieder auf. Sofort verschwand der Alptraum und ich blickte gegen die triste blaue Tapete, welche mein kleines möbliert gemietetes Zimmer schmückte.

Der Ohrring, dieser goldene Ohrring, wo hatte ich den nur schon einmal gesehen? Ich warf die herunter gebrannte Kippe in den Ascher, steckte mir eine neue ins Gesicht und überlegte. Dann fiel es mir plötzlich ein. Es war schon einige Zeit her, ich hatte getrunken und war bereits nicht mehr ganz nüchtern. Eigentlich war ich vollkommen betrunken! Auf dem Weg von der Kneipe nach Hause begegnete mir eine heruntergekommene uralte Zigeunerin, die mit gekrümmten Rücken an einem Stock gestützt näher kam, die linke Hand flehend erhoben. Sie sprach mich mit ihrer hohen krächzenden Stimme an und bat mich inständig ich müsse ihr helfen. Ihr kleiner Hund sei in einen Brunnenschacht gefallen und käme aus diesem nicht mehr mit eigener Kraft heraus. Sie selber sei zu alt und zu schwach , um in den Brunnen zu klettern und darum flehe sie mich nun an, so barmherzig zu sein und ihrem Hund zu helfen. Ich lachte die Alte in meinem trunkenen Zustand nur aus und gab ihr den Rat ebenfalls in den Brunnen zu springen und als sie auf die Knie fiel und bittend meine Hand ergriff, trat ich gegen ihre rechte Schulter, so dass sie auf den Rücken fiel. Ich sagte ihr, sie sei eine alte verkommene Hexe und ich wünschte sie würde wie ihr verlauster Köter in einem tiefen Brunnen verrecken.

An und für sich bin ich kein Unmensch. Nur an diesem Tag hatte ich wie gesagt getrunken und Zigeuner konnte ich noch nie ausstehen. So ließ ich die Alte liegen und wendete mich ab, um endlich nach Hause und ins Bett zu kommen. Da rief die Alte mich nochmals an und ihre ehedem schwache Stimme hörte sich an wie Donner. Sie verfluchte mich in drei Teufels Namen und kreischte, dass ich böse Träume haben würde, sieben Jahre lang! Und dass sie dafür sorgen würde, dass mein Traum ein Traum bleiben würde – sieben lange Jahre oder bis zu ihrem Tode, falls dieser sie in den sieben verfluchten Jahren ereilen sollte. Und dann sagte sie noch, ich solle die Zeit genießen.

Noch niemals vorher war ich verflucht worden und ich fand den Gedanken sehr spaßig, zumal ich nicht abergläubisch war und an solche Hirngespinste nun wirklich nicht glaubte. Ich ließ die Alte also liegen und machte mich auf den Heimweg, um endlich meinen Rausch ausschlafen zu können.

Am nächsten Tag hatte ich die Alte und ihren lächerlichen Fluch bereits vergessen. Ein paar Tage später fingen dann diese verdammten Alpträume an. Mit einer fahrigen Bewegung wischte ich mir den Schweiß aus meinem Gesicht. Diese verhexte Zigeunerin hatte genau den gleichen Ohrring, wie das Monster aus meinem Traum und mir wurde klar, dass an ihrem Fluch etwas dran sein musste. Ich glaubte zwar nicht an Zauberei oder so, aber vielleicht hatte die Alte mich ja hypnotisiert. Ich dachte noch einmal an ihre Worte – sie sagte, dass sie dafür sorgen würde, dass mein Traum ein Traum bleibt und zwar sieben Jahre lang, es sei denn, sie würde innerhalb dieser Zeit sterben. Sieben Jahre lang diesen grausamen Traum? Nein – das wollte ich auf gar keinen Fall. Die Alte musste folglich sterben. Nicht, dass ich ein kaltblütiger Mörder wäre, beileibe nicht, aber ich war mit meinen Kräften so ziemlich am Ende. Kein Wunder – konnte ich doch kaum noch schlafen. So ging das nicht weiter. Ich sprang also aus dem Bett und kleidete mich an. Dann verließ ich meine Wohnung. Ich war wie besessen von dem Gedanken die Zigeunerin zu finden und sie dazu zu bewegen, diesen Fluch von mir zu nehmen. Und dann wusste ich auf einmal, dass ich die Alte tatsächlich töten würde, sollte sie mich nicht von diesem Alptraum befreien. Hauptsache ich musste niemals wieder in diese abartige gehörnte Fratze blicken. Ja – wenn es sein müsste, würde ich die Hexe umbringen, um endlich wieder ruhig schlafen zu können. Mit diesem Gedanken öffnete ich die Tür und trat in die Nacht hinaus.



*



Es war eine schwüle trockene Nacht. Trotzdem fröstelte es mich und ich zog die Jacke enger zusammen. Dann machte ich mich auf den Weg. Bald hatte ich die Stelle erreicht, an welcher ich damals die alte Zigeunerin getroffen hatte. Ich sah mich um , denn irgendwie hatte ich ein ungutes Gefühl in der Magengegend. Ich ging weiter und nach einer Weile fand ich tatsächlich den alten Brunnen. Er lag etwas abseits in einem Park. Ich beugte mich über den Rand, konnte aber in der Dunkelheit des Brunnenschachtes nichts erkennen. Ich schaute mich um und entdeckte in einem Busch eine alte Zeitung, die irgend jemand achtlos hier weggeworfen hatte. Diese hob ich auf, knüllte sie zusammen und zündete sie an. Die brennende Zeitung warf ich dann in den Schacht. Die langsam nach unten trudelnde Flamme warf unheimliche Schatten an die Innenwände des Brunnens und blieb dann ungefähr zehn Meter tiefer liegen. Das Innere des Schachtes war mit Geröll und Schutt aufgefüllt worden und darauf lag, wie ich in dem flackernden Licht erkenne konnte ein Hundeskelett.

Anscheinend war der Kadaver von hungrigen Ratten und anderem Ungeziefer bis auf die bleichen Knochen abgenagt worden. Und noch etwas entdeckte ich . Rund um das fahle Knochengerüst des verendeten Hundes lagen Blumensträuße. Die meisten alt und verwelkt, aber ein paar andere schienen neueren Datums zu sein. Sollte die Alte etwa regelmäßig an diesen Ort kommen, um ihrem toten Liebling Blumen ins tiefe Grab zu werfen? Das wäre ja ganz famos, dachte ich mir, denn das ersparte mir langes suchen. Ich hätte nichts weiter zu tun, als hier auf die vermaledeite Hexe zu warten, die mich, wie auch immer, um meine Nachtruhe brachte. Ich wartete noch zwei Stunden am Brunnen, gab es dann aber auf. Einmal weil mir die Zigaretten ausgingen und zum anderen, weil es bereits dämmerte. Aber ich beschloss am nächsten Tag wiederzukommen und zwar ein wenig früher.

Am nächsten Abend tat ich das dann auch. Ich versteckte mich in einem Busch nahe des Brunnens und wartete. Es wurde immer später und dunkler. Ich wollte es gerade für diesen Tag aufgeben, als ich die gebückte Gestalt der Alten erblickte. Sie stand mit dem Rüchen zu mir am Brunnen und sah in den Schacht hinab. Dann warf sie etwas hinein. Ich nahm an, dass es sich dabei um einen neuen Blumenstrauß für Fifi handelte. Dann stand sie regungslos da. Langsam setzte ich mich in Bewegung und schlich auf die Zigeunerin zu. Ich hatte sie fast erreicht, als ich ihre Stimme vernahm. Sie sagte, sie hätte mich erwartet und sich gewundert, dass ich so lange auf mich warten ließ. Dann erzählte sie mir mit dumpfer Grabesstimme, wie sie na jenem Tag zum Brunnen zurück geeilt wäre und zusehen musste, wie ihr schwer verletzter und erschöpfter Hund noch bei lebendigem Leibe von den Ratten zerrissen worden war. Und dass es zwecklos sei, zu versuchen sie zu überreden den Fluch zurück zu nehmen. Denn einmal sei dies unmöglich und zum anderen würde sie es auch nicht tun, wenn es in ihrer Macht läge. Ich flehte sie an, mich doch bitte zu erlösen, ich bat und bettelte, aber vergebens. Die Alte blieb hart, egal wie oft ich sie um Verzeihung bat, so wie ich damals hart geblieben war, als sie mich auf Knien anflehte, ihrem Hund das Leben zu retten. Ich war außer mir und sah nur noch eine Möglichkeit, den einen unwiderruflichen schrecklichen Weg, mich von dem Fluch zu lösen. Mit beiden Händen umfasste ich den dünnen morschen Hals der alten Frau und drückte zu. Sie wehrte sich nicht. Ihr Hals fühlte sich warm und weich an. Ich schloss die Augen und öffnete sie erst wieder, als ihr Kehlkopf mit einem dumpfen Ton durch meine beiden Daumen eingedrückt wurde.

Ihre Augen waren hervorgequollen, ihr Mund geöffnet und ihre blaue Zunge hing bis zu der Kinnspitze herunter, während der Speichel als dünnes Rinnsal aus ihren Mundwinkeln floss. Nach einer Weile, die mir wie eine Ewigkeit vorkam hörte sie endlich auf zu röcheln und zu würgen. Wie in Trance schüttelte ich ihren Kopf hin und her, um sie dann loszulassen. Ihr kleiner Körper fiel tot vor meine Füße. Ich sah mich um, nahm dann die Leiche und warf sie zu ihrem toten Hund in den Brunnenschacht. Danach verbrachte ich eine halbe Stunde damit, Laub und Zweige auf die Tote zu werfen, bis man nichts mehr von der Zigeunerin sehen konnte. Die Ratten würden sie ja wohl finden. Dann zündete ich mir einen Glimmstängel an und rauchte hastig. Ich beruhigte mein Gewissen, indem ich mir einredete, dass die Hexe es selber schuld sei und es nicht anders gewollt hatte. Und dann rannte ich los. Schweißgebadet erreichte ich meine Wohnung. Ich kleidete mich aus und legte mich ins Bett. Lange fand ich keine Ruhe, aber in der Morgendämmerung schlummerte ich doch ein. Ich schlief tief und fest und ... – endlich quälte mich kein Traum mehr.

Ich erwachte erst am Abend des nächsten Tages und fühlte mich frisch und ausgeruht. Ich aß eine Kleinigkeit, obwohl ich eigentlich gar keinen Appetit hatte und ging dann hinaus, um einen kleinen Spaziergang zu machen. Ungewollt führte mich mein Weg wieder an jenen schrecklichen Ort. Es herrschte dort eine unheilvolle Atmosphäre und ich ließ den Brunnen links liegen, um den Waldweg zu betreten. Die Bäume ragten rechts und links dunkel empor und es war kein Laut zu hören. Nicht einmal die Vögel zwitscherten. Als ich eine kleine Lichtung erreichte, setzte ich mich ins weiche Gras und lehnte mich mit dem Rücken an einen moosbewachsenen Baum. Ich sah in den Sternenhimmel und wurde immer schläfriger. Die Wochen ohne Schlaf hatten mich arg strapaziert und so war es kein Wunder, dass ich wieder einnickte.

Plötzlich hörte ich ein Geräusch. Ich öffnete die Augen. Zuerst konnte ich nichts erkennen und dann, als meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, starrte ich in ein grauenerregendes Gesicht. Ich war kurz davor wahnsinnig zu werden. Da war er wieder. Mein Traum. Das gehörnte Monster stand vor mir und zeigte mit seiner Klauenhand auf mich. Ich schüttelte den Kopf und schrie es an. Ich versuchte ihm klar zu machen, dass ich vom Fluch erlöst sei, da die Alte tot war. Aber das Ungeheuer verschwand nicht. Ich fügte mich schließlich dem Unvermeidbarem, wusste ich doch, dass ich nach einer langen Flucht vom Atem des Monsters verbrannt und dann endlich erwachen würde. Vielleicht träumte ich ja nur aus Gewohnheit diesen Traum und würde bald davon loskommen. Mit einem Seufzer schwang ich mich auf meine Beine und begann zu laufen. Das Monster rannte hinter mir her. Während der Flucht merkte ich, dass irgend etwas anders war, als sonst. Aber ich kam nicht drauf. Dann wusste ich es. Ich hatte keine Angst, wie sonst bei diesem Traum. Das lag wahrscheinlich daran, dass der Fluch weg war und ich ja jetzt wusste, dass ich nur träume. Ich lief langsamer, denn ich konnte nicht mehr. Als ich mich umsah, sah ich das Ungeheuer geifernd näher kommen, roch bereits die Fäulnis seines heißen Atems. Ich lief weiter, bis ich konditionell vollkommen am Ende war. Ich wollte dem ein Ende bereiten und endlich aufwachen, um mich nach Hause zu begeben, lag ich doch schlafend auf einer Waldlichtung. Also blieb ich mit dem Rücken zu dem Gehörnten stehen. Es dauerte einen kurzen Augenblick, bis ich den heißen Atem auf meinem Rücken spürte und dann fing meine Kleidung Feuer. Als ich die Schmerzen der Hitze am Rücken verspürte, lachte ich auf, denn gleich würde ich erwachen. Die Hitze wurde immer stärker. Ich hörte auf zu lachen – warum erwachte ich denn nicht? Ich wirbelte herum und sah den Gehörnten vor mir stehen. Er fauchte mich an und hieb mir mit der Klaue ins Gesicht. Ich spürte den Schmerz, als die Haut auf meiner Wange aufsprang und ich brüllte das Monster an, zu verschwinden, damit ich endlich aufwachen konnte. Aber der Gehörnte dachte gar nicht daran. Ein weiterer Hieb seiner Klaue und ich stürzte zu Boden. Mittlerweile hatte meine ganze Jacke Feuer gefangen. Ich wollte sie ausziehen und hob meine Hand, um aus dem Ärmel zu kommen – aber da war keine Hand mehr. Ich sah nur eine blutrote Flamme am Ende des Arms und dann kam der Schmerz. Kreischend wälzte ich mich auf dem Boden hin und her, während die Flammen immer mehr Besitz von meinem Körper ergriffen. Verdammt, jetzt musste ich doch langsam aufwachen.

Aber dem war nicht so. Ich brannte weiter. Es stank infernalisch, als meine Haare anfingen zischend zu verkohlen. Ich wälzte mich auf dem Boden herum und brüllte mir die Seele aus dem Leib. Nur der Gedanke, bald zu erwachen, hielt mich noch am Leben. Aber dann wurde mir das Grauenhafte schlagartig klar. Inmitten des Zischens meines bratenden Fleisches hörte ich die Stimme der alten Zigeunerhexe, wie sie sagte, sie würde dafür sorgen, dass mein Traum ein Traum bleiben würde. Ich Narr hatte sie falsch interpretiert und sie umgebracht. Und da blieb mein Traum kein Traum mehr, sondern wurde Realität. Ich brannte wirklich und hatte tatsächlich diese unmenschlichen Schmerzen. Und dann, als die Haut meines Körpers überall aufplatzte und meine Augen verdampften, dachte ich noch, dass jetzt bald alles vorbei sein würde und dann war das gesamte Universum angefüllt mit Feuer und Schmerzen. Ich verbrannte und bald war kein Leben mehr in meinem verkohlten Körper.



*



Jetzt liege ich hier in meinem dunklen feuchten Sarg und mein verbrannter und von Würmern gespickter Körper fault langsam vor sich hin. Aber obwohl ich tot bin und keine Augäpfel mehr habe, träume ich ununterbrochen einen Traum, einen grausamen unfassbaren Traum – von heute an bis in alle Ewigkeit,.... Ewigkeit,.... Ewigkeit .... .... .... .... .... .... ....

Ende