Das Geheimnis des Vampirs

(1996 Copyright by Heshthot Sordul)


Ich bin ein Vampir! Nicht daß mich das weiter stören würde. Zwar beiße ich mir andauernd mit diesen verflixten spitzen Eckzähnen, die wir nicht einfach verschwinden lassen können, wenn wir sie nicht brauchen, auch wenn das der einhelligen Meinung entspricht, in die Zunge, aber ich denke noch zehn bis zwanzig Jahre Übung, dann habe ich auch das raus oder keine Zunge mehr.

Auch den Badeurlaub am Meer konnte ich mir nach der, ich nenne es mal Verwandlung, abschminken, aber ich war nie ein Sonnenanbeter. Meine Freunde brauchten ein wenig länger, bis sie sich daran gewöhnt hatten. Aber nachdem ich ihnen hoch und heilig (Brrrr, welch Wort) versprochen hatte, ihre Arterien und Venen zu verschonen, ging es nach einer Weile ganz gut. Die größten Probleme mit meiner Verwandlung, mal abgesehen von meinen diversen Nahrungslieferanten, hatte unzweifelhaft meine Freundin. Mal ehrlich, hätten Sie tagsüber gerne eine Leiche in der Wohnung rumliegen? Sehen Sie – meine Freundin auch nicht. Aber sie tröstete sich mit dem Gedanken, daß ich wenigstens nicht mehr schnarchte, was sie früher, als ich noch ein Mensch war, zur Weißglut brachte.

So hatte sie tagsüber ihre Ruhe vor mir und auch dies schien ihr, sehr zu meiner Verwunderung, sehr gut zu gefallen. Wie dem auch sei, mittlerweile hat sich alles eingerenkt und wir leben fast wie früher. Nun ja, die Eßgewohnheiten haben sich drastisch geändert, zumindestens was mich angeht, aber meine Freundin hat sich daran gewöhnt, daß ich ihr nur noch beim Essen zuschaue. Am schwierigsten war der ganze organisatorische Krempel. Ich war ja nun tot und konnte bei Tageslicht nichts unternehmen, außer tot in meinem Sarg, welcher im Badezimmer (der einzige Raum unserer Wohnung ohne Fenster) steht. Aber irgendwie schaffte ich es, vorzutäuschen ich habe mich abgesetzt, um am Amazonas seltene Pilzarten zu suchen. Und glauben Sie mir, es ist erschreckend, festzustellen daß man, kaum ist man eine Weile verschwunden, für Niemanden mehr von Interesse ist. Egal, mir soll es recht sein. Ich habe ein Dach über dem Kopf, meine Freunde nehmen mir meine neue Tätigkeit nicht übel und meine Freundin hat sich auch umgewöhnt und scheint eigentlich ganz glücklich zu sein.

Zumal sie auf nichts verzichten muß, das ist nämlich auch wieder so eine Hollywood-Legende. Im Gegenteil, ich habe als Blut saugende Leiche mehr Ausdauer, als zu den Zeiten, als ich noch zu den Lebenden zählte. Alles in allem könnte ich mich also die nächsten Jahrzehnte auf die faule Haut legen, wäre da nicht ein Störfaktor. Meine Freundin, als auch meine Freunde wissen nun, daß ich quasi unsterblich , gegen jede Krankheit gefeit und so gut wie nicht zu töten (oder sollte ich besser – zu vernichten – sagen?) bin. Und jetzt beginnt der Ärger. Denn alle vertreten die Meinung , daß es doch unfair von mir sei, diese Vorteile für mich zu behalten. Tagtäglich oder besser gesagt, nachtnächlich beknien sie mich, sie ebenfalls zu Vampiren zu machen.

Außer dem Umstand, daß es für jemanden wie mich in der heutigen Zeit unerläßlich ist, jemanden zu haben, dem man vertrauen kann und der in der Lage ist, tagsüber zu agieren hält mich nur noch ein winziger Umstand davon ab, meinen Freunden, als auch meiner Freundin diesen Wunsch zu erfüllen: Ich weiss beim besten Willen nicht, wie ich das machen soll.

Ehrlich, ich habe keinen blassen Schimmer, wie ich jemanden zum Vampir transferieren kann.

Ich sehe es Ihnen an, Sie glauben mir auch nicht. Aber was soll ich machen? Das Argument, irgendwer hat dich doch auch zum Vampir gemacht, habe ich in den letzten Monaten bestimmt mehr als tausend mal gehört. Aber so war das nun mal einfach nicht. Vielleicht sollte ich Ihnen erzählen, wie ich zum Vampir wurde, dann werden Sie verstehen, warum ich es keinem anderen sagen kann Auf jeden Fall Niemandem, der scharf darauf ist, Vampir zu werden und gleichzeitig auch noch weiss, wo er mich finden kann, wenn ich tagsüber ruhe. Warum das so ist, werden Sie wissen, wenn ich Ihnen meine kleine Geschichte erzählt habe. Urteilen Sie selber. Ich bin überzeugt, Sie würden auch ein Geheimnis daraus machen.



*



Ich bin Vertreter für Staubsauger, vielmehr ich war es, als ich noch lebte.

In diesem Job ist man viel und vor allem zu Unzeiten unterwegs. Vor Monaten war es mal wieder so weit. Eine Kundin hatte mich über Gebühr aufgehalten (und noch nicht mal einen Staubsauger gekauft) und ich war nächtens unterwegs, um noch vor Morgengrauen nach Hause zu kommen.

Ich quälte meinen alten Mazda durch eines der dichtesten Schneegestöber, welches ich in meiner Außendiensttätigkeit je bewältigen mußte und betete, daß ich in keiner Schneewehe stecken bleiben würde. Das war mir einmal passiert und ich hatte keine Lust noch mal eine ganze Nacht auf den Streudienst zu warten. Sicherheitshalber hatte ich aber einen Handspaten im Kofferraum deponiert. Einen jener kleineren Spaten mit einem ungefähr 50 cm langen, stabilen Holzgriff, dessen Ende zu einem T auslief. Ich betete inbrünstig zu allen möglichen Göttern, daß ich den Spaten diese Nacht nicht benutzen mußte. Die Straßen waren wie ausgestorben, denn jeder nur halbwegs vernünftige Mensch war zu dieser Stunde und bei diesem Schneegestöber überall anders, aber nicht auf der Straße. So dachte ich zumindestens, bis ich im Dunkeln vor mir ein gespenstisches gelbes Licht zucken sah. Zuerst dachte ich an eine Baustellenlampe, konnte dann aber erkennen, daß es das Warnblinklicht eines schwarzen Autos war, welches halb in den Graben gerutscht war.

Ich fluchte, als ich im Licht der Leselampe sah, daß noch jemand in dem Wagen saß. Ich war noch nie ein großer Menschenfreund und eigentlich selbst in meinem Freundeskreis als Zyniker bekannt, darum hätte ich auch den Teufel getan und angehalten, um irgend jemandem, der zu dämlich zum Autofahren ist, aus einem Schneehügel zu buddeln, der größer, als mein Gartenhäuschen war. Aber ein nicht zu verachtender Umstand, bewog mich dazu, doch anzuhalten, meinerseits das Warnblinklicht einzuschalten (nicht das ich damit rechnete, daß noch irgendwer sonst unterwegs wäre - aber man weiss ja nie), in die beißende Kälte auszusteigen und den Spaten vorsorglich aus dem Kofferraum zu holen.

Dieser Umstand hatte lange rote Haare, eine süße Stupsnase und hatte mich mit großen hilfeflehenden Augen angeschaut, als ich auf Höhe des ,gestrandeten' Autos war. Kurzum, in dem Wagen saß eine junge Frau, welche meiner Hilfe bedurfte. Da konnte ich nicht widerstehen. Zwar war von dem Gesicht nicht allzuviel zu erkennen, weil sie sich einen dicken Schal bis zur Nase hochgezogen hatte, aber das was ich sehen konnte, ließ mich, entgegen meiner Gewohnheit, alle Bedenken vergessen.

Ich ging also zum Wagen und die Rothaarige kurbelte das Fenster herunter. Sie bedankte sich überschwenglich für meine Hilfsbereitschaft und versprach, daß es nicht mein Schaden sein solle, wenn ich ihr aus dieser Misere helfen würde. Was sollte ich also machen verehrter Leser. Was hätten Sie getan? Ich fing an Schnee zu schaufeln. Ab und an versank ich bis zu den Knien im Schnee, aber eigentlich hielt ich mich ganz wacker. Gedanklich lenkte ich mich mit Phantasien ab, in denen die kleine Rothaarige dort im Auto die Hauptrolle spielte. Nicht daß ich untreu wäre, aber was meine Freundin nicht weiß, macht sie nicht heiß. Ich schaufelte also weiter am Heck des Autos und langsam wurde mir trotz der Kälte recht warm. Gerade als ich den Spaten in einen Schneehaufen stecken wollte, um mir die Jacke auszuziehen, hörte ich das dumpfe Geräusch einer Autotüre, die zugeworfen wird. Ich blickte auf und sah die Rothaarige vor mir stehen. Mir stockte der Atem und ich starrte sie mit großen Augen an. Einmal, weil sie nur mit einem hauchdünnen Abendkleid bekleidet war, welches mehr von ihrem betörenden Körper zeigte, als verbarg. Zum anderen, weil sie den Schal nicht mehr umgebunden hatte und mich mit einem breiten Lächeln ansah. Eigentlich war es mehr ein höhnisches Grinsen, wenn ich ehrlich bin. Aber ausschlaggebend für meinen Schrecken waren eigentlich ihre Zähne. Glauben sie mir, während meiner Tätigkeit ist mir schon so manch großer Hund mit gefletschten Zähnen entgegengekommen, aber keiner, egal wie groß er gewesen war, hatte solche Reißzähne im Mund, wie diese zierliche Lady, die da drei Meter von mir entfernt im fallenden Schnee stand. Langsam kam sie näher und ich dachte, daß es sich um einen schlechten Scherz handele, aber als sie mich dann fauchend ansprang und mit ihrem Mördergebiß auf meine Kehle zielte, hörte für mich der Spaß auf. Sollte sie doch ihre Dreckskarre selber aus dem Schnee buddeln.

Ich ließ mich seitwärts fallen, als sie wie eine Löwin auf mich zusprang und hatte das Glück, daß sie an mir vorbei sprang. Sie landete schräg hinter mir im Schnee und versank erstemal in der Wehe. Als sie sich blitzschnell daraus befreit hatte, landete sie einen wirklich harten Treffer mit der Breitseite des Spatens. Es gab ein lautes metallenes Geräusch, als der Spaten gegen den Schädel der Furie knallte und der Holzgriff des Spatens brach unterhalb des Metalles durch, während die Schönheit abermals zu Boden ging. Als sie dieses Mal aufstand war sie nicht mehr ganz so hübsch im Gesicht.

Das Spatenblatt hatte ihre rechte Gesichtshälfte heftig deformiert und ich grinste innerlich kurz. Dieser Gefühlsausbruch legte sich aber ziemlich schnell, als ich sah, wie sich die verrutschten Gesichtszüge von alleine richteten und sich die Abschürfungen und Prellungen im Gesicht der Rothaarigen ziemlich fix in Wohlgefallen auflösten.

Nur ein paar Sekunden nach dem Treffer, war die Lady wieder völlig hergestellt und grinste mich diabolisch an.

Da stand ich nun bis zu den Knien im Schnee und hielt ein kurzes Stöckchen in der Hand. Gott kam ich mir albern vor.

Die Frau mit den hübschen Beißerchen stand unversehrt vor mir und fauchte. Dann bewegte sie sich langsam auf mich zu und versuchte mir klarzumachen, daß es doch Blödsinn sei, sich zu wehren und daß dieser nutzlose Widerstand es mir doch letztendlich nur noch schwerer machen würde. Zu sterben hätte ich jetzt eh. Nun, das sah ich nicht so und im gleichen Maße, wie sie auf mich zukam, zog ich mich zurück. Ich war gar nicht versessen darauf mit ihren Fangzähnen Bekanntschaft zu machen, denn mittlerweile war ich durchaus davon überzeugt, daß die Hauer echt waren und es sich zweifelsohne nicht um billige Plastikzähne handelte. Ich ackerte mich also langsam rückwärts durch den hohen Schnee und achtete penibel darauf, daß mir die Dame nicht zu nahe kam. Dabei fuchtelte ich mit dem Stöckchen, immerhin meiner einzigen Waffe, vor mir her. Sie lachte nur und trieb mich weiter. Mittlerweile hatte es aufgehört zu schneien, was ja schon nicht schlecht war. Wenn es mir jetzt noch gelang in meinen Wagen zu kommen ohne zerfleischt zu werden, könnte die Nacht durchaus noch ganz nett enden.

Die Lady schien aber ganz andere Pläne zu haben, denn plötzlich sprang sie auf mich zu, die Hände mit den langen spitzen Fingernägeln wie Klauen gespreizt. Ich schrie auf und versuchte auszuweichen, was mir aber in diesem verfluchten Schnee nicht gelang. (Ich habe nie viel von Wintersport gehalten!)

Na ja machen wir's kurz. Bei meinen Bemühungen, dem Angriff auszuweichen fiel ich ziemlich unspektakulär auf den Hosenboden. Instinktiv hielt ich die Hände zur Abwehr erhoben. Die Lady landete fauchend direkt auf mir und ich wußte nichts besseres, als sie fest in die Arme zu nehmen und an mich zu drücken.

Nicht daß ich noch großen Wert auf solche Intimitäten gelegt hätte, aber ich dachte mir, besser ich umklammere sie, als umgekehrt. Wir rangelten also ein wenig im Schnee herum, mal lag sie oben, mal lag ich oben und so hätte es bis zur Schneeschmelze weitergehen können, wäre es ihr nicht gelungen, sich mit einem Ruck zu befreien. Ich lag auf dem Rücken, beide Hände nach hinten ausgestreckt und sie saß quasi auf meinen Oberschenkeln und lachte siegessicher. Meine Gedanken rasten und noch bevor mir etwas geniales einfiel, die Situation wieder zu meinen Gunsten zu ändern, handelte mein Körper von alleine. Den abgebrochenen Spatenstiel hielt ich immer noch in Händen. Während mein Geist fieberhaft überlegte, entschlossen sich meine Arme zuzuschlagen. Und das taten sie dann auch. Meine Fäuste stießen mit Wucht über meinem Kopf nach vorne und rammten den Spatenstiel mit einem schmatzenden Geräusch in die Brust der aufdringlichen Schönheit.

Der rothaarigen Lady entglitten sämtliche Gesichtszüge. Sie riß die Augen, als auch den zahnbewehrten Mund weit auf und ein Röcheln entrang sich ihrer Kehle. Ich ließ den Stiel los und drückte die Gepfählte von mir. Den Stiel mit beiden Händen umfassend fiel sie nach hinten auf den Rücken. Ich rappelte mich auf und stellte mich neben sie. Als ich in ihr Gesicht blickte, sah ich, daß sie mich mit einem spöttischen Blick ansah. Dann schwafelte sie noch etwas in der Art, daß sie trotzdem gewonnen hätte und ich der Verlierer sei. Eine seltsame Einstellung für jemanden, der mit einem Holzstiel im Herzen, sterbend im blutgetränkten Schnee liegt, aber bitte - ich bin ja nicht kleinlich. Wenn sie denn meinte..., ich wußte es ja besser. Ich lebte und sie gleich nicht mehr. Keine Frage, wer gewonnen hatte. Ich überlegte schon, von wo aus ich die Polizei benachrichtigen könnte, als mir die Lady den Gefallen tat mit einem letzten Fauchen dahinzuscheiden und...- Wunder über Wunder, sich tatsächlich anfing aufzulösen. Christopher Lee wäre stolz auf sie gewesen. Ich dachte, diese schrecklichste Episode meines Lebens (mal abgesehen vom Rinderbraten meiner Freundin) wäre ausgestanden, als mich ein heftiger, schneidender Schmerz durchfuhr. Ich stöhnte auf und ließ mich auf die Knie fallen. Kaskaden von irrsinnigem Schmerz schüttelten mich durch und als sie endlich nachließen - welch entzückende Überraschung - atmete ich nicht mehr und auch mein Herz schlug nicht mehr. Ich spürte auch die Kälte nicht mehr und das beste war, ich biß mir das erste Mal mit den spitzen langen Eckzähnen, welche mir urplötzlich wuchsen, heftig in die Unterlippe und hatte den Mund voll meines eigenen Blutes. Und wie gut dieses Blut schmeckte, hmm..., ich kann es nicht in Worte fassen. Ich war doch tatsächlich zum Vampir geworden, ohne daß dieser weibliche Vampir mit den langen roten Haaren mich auch nur gekratzt hätte. Ich hatte mich verwandelt, indem ich den Vampir tötete. Jetzt wußte ich auch, warum es nicht all zu viele Wesen dieser Spezies gibt.

Sagen Sie selber verehrter Leser, würden Sie unter diesen Umständen Ihren Freunden, die ganz versessen darauf sind, Vampire zu werden, erzählen, wie Sie zum Vampir wurden???

Sehen Sie!

Ende