A45 – ein „Roadmovie“  

(Copyright 2001 by Vampyre[BK]

Endlich.... das regelmässige Ticken des Blinkers brachte mich aus Hagen hinaus und rauf auf die Autobahn. Fremde Städte sind das, wo ich Fahren hasse.... vor allem, wenn man einem Stau ausweichen muss und mitten in die Innenstadt gerät dabei...

Ich falle in den bequemen Sitz zurück und trete das Gaspedal durch, noch 645 Kilometer bis nach Hause... 

Während unter der Motorhaube die Kilometer verschwinden, falle ich in Gedanken, irgendwie ist Nordrhein – Westfalen immer grau und kalt, wenn ich hier bin, ich erinnere mich gut an die Häuser und Straßen im märkischen Kreis. Wenn ich jemals einen blutigen Horrorfilm drehen müsste, würde ich ihn hier im November in der Dämmerung drehen, einsame kurvige Landstraßen, in weiten Abständen einzelne Häuser und Industrie zwischen den hohen Nadelbäumen und die Talwände, die jeden Augenblick auf dich herabzustürzen drohen. Aber wir haben Sonntag Mittag und ich bin auf der A45 Richtung Süden.... wenigstens geht es zügig, ich hatte nach dem Westhofener Kreuz schon mit dem schlimmsten gerechnet. Zeit für Musik..... welche CD wohl gerade läuft?

Ah.... Kirlian Camera – Eclipse...... 

Das sind die Lieder, bei denen ich alle vorhandenen Watt im Wagen ausreize....verdammter Idiot!!!!!! Ein Lichthupengewitter bricht über den armseligen Fiesta herein, der eben vor mir ausgeschert ist. Sieht der Spinner denn nicht, wie schnell ich bin? Das Quietschen der Reifen scheint ihn dann zur Besinnung zu bringen und er reisst seinen Kleinwagen so schnell wieder nach rechts, daß er fast ins Schleudern kommt. Kopfschüttelnd erhasche ich noch einen Blick auf die aufgerissenen Stielaugen einer weißhaarigen Oma und beschleunige wieder auf Reisegeschwindigkeit. Krank, was am Sonntag auf der Autobahn unterwegs ist.... 
Dort auf der rechten Seite liegt an einem Hang eine kleine Siedlung. Die Häuser sehen aus, als ob sie sich mühsam daran klammern würden, um nicht herunterzurutschen und ich erhasche einen Blick auf erleuchtete Fenster. Was mag dahinter vorgehen? Sitzt die Familie beim Essen oder beim Nachmittagskaffee? Wer dort wohl wohnt? Ob er glücklich ist in seiner Welt? 
Der schwere Wagen schwingt durch die Kurven nördlich von Siegen, als ob er nur dafür gebaut worden wäre und ich versinke unter den Zeilen von Eclipse wieder in Gedanken.... 

 „Dreams are lost days.... are burning in the past Velvet black rays... are drifting now so fast“ 

Ich kann mich daran erinnern, was mein Vater sagte, als ich ihm zum ersten Mal erzählte, daß ich die Siegerlandautobahn gefahren bin... „Eine schöne Strecke, mit die angenehmste Autobahn, die ich kenne. Friert im Winter aber sehr schnell zu, pass auf in den Tälern...!“ Und heute fahre ich sie zum x-ten Mal, ich habe nicht mitgezählt, wie oft schon. 
Die Strasse der Träume.... 
Siegen – Eisern 1000 m..... hier bin ich schon? Ich habe nicht gemerkt, wie die letzte halbe Stunde vorbei ging. Hinter mir hat inzwischen ein 5er – BMW aufgesattelt und fährt seit geraumer Zeit Kolonne. Ich liebe das dahinbrausen auf der linken Spur mit anderen schnellen Wagen.... der Führungswechsel... und die kurze Verabschiedungszeremonie mit Lichthupe, wenn einer abfährt.... es ist viel angenehmer auf diese Art und Weise Langstrecken zu fahren. Mir fällt der Tag ein, als ich hier das erste mal Richtung Süden fuhr..... mein Herz taumelte vor Glück und ich sang jedes Lied laut mit, das mein Wechsler von sich gab. Selbst der schwarze Nachthimmel, unter dem ich dahinraste, schien zu tanzen und die menschenleere Autobahn winkte mir zu. Und sie war der Grund, der Engel in der Finsternis der Nacht...

Wetzlar 49km.... am Horizont im Süden wird es hell, in Hessen scheint die Sonne. Endlich heraus aus diesem grauen Wetter..... warum kann es nicht so bleiben? 

 „Echoes of whispers so similar to a paint 
 distant, so distant 
like diamonds in the rain 
 And if for a moment there 
lights are on your lips“ 

 Die Kilometer verschwinden unter der Motorhaube und mir steigen Tränen in die Augen. Ich will nicht nach Süden.... ich will nicht weg.... fortgerissen werden, aber das dumpfe Brummen der 136 PS zieht mich unbarmherzig immer weiter nach Hessen hinein. 
Die obligatorische Sonnenbrille wandert vor meine Augen, als das erste Licht der Sonne durch die Wolken blitzt und trotz des salzigen Wassers auf meinen Wangen muss ich über den Spruch des Bibliothekars grinsen: „Wie oft habe ich dir gesagt, du sollst dein Bein nicht in die Sonne legen!“ Just in diesem Moment beginnt die Brandwunde an meinem Bein wieder zu schmerzen.... ich habe mich die letzten.... verdammt, zwei stunden fahre ich schon und ich habe es nicht gemerkt. Zwei Stunden war ich durchgehend auf der linken Spur, es wird zeit, dem BMW den Vortritt zu lassen..... ich wechsle hinüber und schere hinter ihm wieder ein. Ungut, wenn andere Fahrer die Tränen sehen.... 
Und immer noch Kirlian Camera..... was ist nur in mich gefahren? 

 „Slowly the clouds are fading into a cage... 
While, from my hands 
Is falling another page....“ 

 Ich schieße hinter dem BMW die Kurven vor dem Gambacher Kreuz hinunter, meine Augen brennen, aber ich kann den Blick nicht von dem Asphalt lassen, der unter den Reifen vorbeizischt... 
Gambacher Kreuz, beschränkt auf 100km.... was interessiert mich das? Der BMW schert aus und ich schieße weiter, was die Reifen hergeben. Auf 160 zugelassen? 190 ist noch in der Toleranzgrenze..... 
Rechts jagen die Wagen an mir vorbei... es ist, als ob sie stehen würden und unter meinen fast geschlossenen Augen pendelt sich die Tachonadel bei 200 ein. Ich muss hier weg, runter von dieser Autobahn.... runter von dieser Straße, die mich immer weiter von ihr fortreisst...... 

Die Siegerlandautobahn, irgendwie hat mich dieser Name immer beeindruckt, ich weiß nicht warum. Hinter diesem Namen, hinter dieser Strasse stehen meine Träume, meine Gedanken, meine Gefühle und lange Stunden auf dem Weg in das Licht. Es ist meine Straße der Träume und jeder Kilometer Asphalt ruft den Namen der Fee meiner Nacht.... 
Seligenstädter Dreieck 1000m...... einordnen Richtung München/Nürnberg auf die A3... ich bremse langsam ab...... die Beschränkung auf 60km ist hier wirklich angebracht. 

Wieder tickt der Blinker..... willkommen auf der A3.... es wird Zeit für einen Wechsel der CD..... 
 Während ich nach links hinüberschere, schweifen meine Gedanken zurück zur A45, auf die ich noch einen Blick erhasche und sie scheint mir zuzurufen..... 
Ich weiß, ich komme wieder.... und irgendwann bleibe ich für immer..... mit meinem Blut auf dem Asphalt der Straße meiner verlorenen Träume..... 

 „Where is that golden door?“   


BK 
  
Beim lesen zu empfehlen: Kirlian Camera - Eclipse