Mondengel

Autorin: Klara Duvert

Du bist der Wächter der dunklen Macht, die schwarze Sonne sie gibt dir deine Kraft der kalte Mond erleuchtet dich, dein Antlitz so stolz und wunder schön. Wann werde ich auch ein Engel sein? Leuchtend und strahlend wie ein Edelstein. Mit dir unendlich im Kosmos kreisen, durch die Gezeiten mit dir reisen. Über dir die dunklen Wolken sind, dein Wort den Donner bringt. Du schwebst so leicht wie der Abendwind, auf deinen Schwingen aus Messerklingen. Engel der Nacht aus Träumen gemacht, aus dem Schlafe erwacht...


Elizabeth schrack aus ihrem sonst so tiefen Schlaf auf. Kurz vor Zwölf. Sie rieb sich die Augen und schwang ihre langen, glatten Beine aus dem Bett. Dieser Traum... er ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Anmutig glit sie übers Parket und sah aus dem Fenster. Das helle Licht des Vollmondes legte seinen Schein auf ihr Gesicht. „Mondengel.“, sprach sie es nachdenklich aus. War er wieder da? Sie schüttelte hastig den Kopf. Es konnte nicht sein. Diese Stimme, ihre Augen weiteten sich dem Nachthimmel entgegen. „Zeit, daß wir uns endlich sprechen. Zeit, das Schweigen zu durchbrechen. Du kennst mich. Ja, du kennst mich! Weißt du noch, du warst ein Mädchen, als ich dir versprochen habe, dass ich dir immer nah bleib'.“ Zaghaft antwortete sie: „Ich hab' dich nie vergessen. Meinen Freund, nach dem ich rufe, wenn mich meine Ängste fressen...“

„Ich komm, weil du mich brauchst. Die Schatten um dich werden länger, und doch bleibst du blind und stumm. Es ist fünf vor Zwölf! Die Zeit ist beinah um.“ Was sagte er da? Schnell wiedersprach sie: „Zeit, den Rest der Welt zu sehen. Könnt' ich nur das Steuer drehen! Doch ich muss daneben stehen. Du bindest mir die Hände und lässt mich daneben stehn'.“ Die Stimme sprach ruhig und gleichgültig weiter: „Nichts ist schlimmer als zu wissen, wie das Unheil sich entwickelt, und in Ohnmacht zuseh'n zu müssen.“ Elizabeth schluckte schwer. „Es macht mich völlig krank!“, schoss es ihr durch das hübsche Köpfchen. „Die Schatten werden länger, und die Lieder werden kalt und schrill.“ Was sollte das bedeuten? Wie gebannt stand sie vor dem Fenster. „Der Teufelskreis wird enger, doch man glaubt nur, was man glauben will. Es ist fünf vor Zwölf! Warum hältst du noch still?“ Es fiel ihr wie Schuppen von den Augen. Er hatte ihr etwas geschworen. Sie würde freiwillig zu ihm kommen.

„Was hält dich zurück? Dies ist der Augenblick! Greif nach der Macht! Tu es aus Notwehr!“ „Notwehr?“ Ihr Leben verlief zwar nicht so wie es ihr lieb war, aber Notwehr? „Was gescheh'n muss, das muss jetzt gescheh'n.“ Es jagte ihr einen Schauer über den Rücken. „Ich muss dem Unheil
widersteh'n.“ „Du wirst der Zeit nicht entgeh'n!“ Das Fenster schlug auf und Elizabeth musste vor dem Wind zurück weichen der ins Zimmer schlug.

Sie fühlte sich so ohnmächtig gegen ihn. Er tat mit ihr nach was ihm beliebte. Schluck für Schluck entzog er ihr den ach so wichtigen Lebenssaft.

Elizabeth war so schwach, als er sie von sich stieß. Hart landete sie auf dem Boden. Zitternd sah sie zu ihm auf. Kalt strahlende Augen die sie fixierten. Der Blutschwall war versiegt. Sie atmete schwer und hektisch. „Meine liebe, dir kommt eine ganz besonder Ehre zu Teil.“ Die Ehre dem Geschlecht der Nosferatu zu dienen und zu gehorchen. „Machst du deine Sache gut, schenken sie dir deine Freiheit.“

Wie lange war es schon her das sie diese Worte aus Sylvesters Mund hörte? Sie bedeuteten nichts mehr. Schon zu lange hielt dieser Clan ihr Leben in Händen. Warum gerade sie? Es gab mehr als eine Milliarde Menschen auf der Welt, also warum gerade sie? Ihren Eigensinn und Entschlossenheit behielt sie aber die ganzen Jahre über. Etwas sagte ihr, es sei Zeit sich zu befreien. Sylvester hatte sich schon seit langem nicht mehr blicken lassen.

Sie musste ihr Schicksal wohl selbst in die Hand nehmen. Wieder tagten die Oberhäupter in der Stadt und Elizabeth hatte die Gelegenheit alle auf einmal zur Hölle schicken zu können. Die Nacht der schwarzen Sonne nahte. Es musste diese Nacht geschehen, und zwar schnell, bevor sie zu mächtig wurden. Einige Hilfsmittel wären dafür nicht unwichtig. Alles war vorbereitet. Das geweite Wasser war in der Sprenkleranlange verteilt und die UV-Bombe lag neben ihr. Nur noch wenige Minuten. Ihre Opfer waren alle eingetroffen und die Show konnte beginnen.

Elizabeth bedeckte ihren Körper mit einem Umhang und ihr Haupt wurde von einer Kaputze bedeckt. Zeit um die Bombe hochgehen zu lassen. Grelle Lichtstrahlen erhellten den sonst so dunklen Raum. Todesschreie die in ihren Ohren dröhnten. Die Flammen der verbrennenden Körper lösten die Sprenkleranlage aus. Das einzige was Elizabeth noch tun musste, war den störrischen Verdammten die nicht sterben wollten den Kopf ab zu schlagen.

Es waren nur Minuten, dass das Gemätzel dauerte. Keuchend stand sie inmitten einer gigantischen Blutlarche. Es war geschehen. Ein dumpfes Klatschen ertönte aus dem Nichts. „Was für ein Triumph!“, rief sie ihrem Begleiter zu. „Mein Triumph!“ „Welch ein Fest!“ „Mein Fest!“ Sie ließ sich von ihm nicht beirren. „Ich hab die Feinde überwunden.“ „So änderst du den Lauf der Welt in meinem Sinn. So eng sind wir Verbunden.“ Langsam erregte er ihre Missgunst. „Ich tu’s nicht für die Welt.“, beharrte Elizabeth. „Nicht für die Welt.“, spottete er. „Nur für mich.“, zischtet sie bitter. Sylvester setzte sein grausames Lächeln auf und raunte: „Für mich.“ „Jetzt hab ich meinen Weg gefunden.“

„Sie haben über dich gelacht. Doch jetzt hast du dich durchgesetzt und sie besiegt.“
Eine feminine und doch raue Tonlage schwankte in ihren Worten mit. „Sie hielten mich an Drähten fest. Als Puppe, die man tanzen lässt. Doch ich werd' keine Marionette sein!“ Der Vampir belächelte ihre Worte. Er streckte seine Hand nach ihr aus. „Schwarze Möwe, flieg!“ „Ich flieg.“ „Ich allein.“ „Allein!“ „Will dich durch Nacht und Sturm begleiten.“ „Ich will nicht mehr begleitet sein! Auch nicht von dir. Ich lass mich nicht leiten.“, protestierte sie energisch.

Egal was sie ihm auch an den Kopf warf, er nahm es gleichgültig hin und provozierte sie nur noch mehr. „Frei bist du nur durch mich.“ Sie schüttelte den Kopf: „Nur durch mich.“ Seine strahlend weißen und spitzen Zähne waren deutlich zu erkennen „Nur für mich.“ „Für mich!“ „Denn du sollst mir den Weg bereiten.“
Bald war sie mit ihrer Geduld am Ende. Sie strich sich die Kaputze vom Haupt und zeigte ihr helles, blondes Haar. „Ich geh jetzt meinen eignen Weg. Ich habe mich
getrennt von dir. Lass mich in Ruh!“ Die Ruhe selbst sprach aus ihm. „Du hast dich in mich verliebt, weil’s Freiheit ohne mich nicht gibt und keiner dich versteh’n kann außer mir.“

Plötzlich klang ihre Stimme nicht mehr so sicher und entschlossen. „Ich bin stark genug allein.“ Da sie ihm immer wiedersprechen musste... Auch Sylvesters Geduld hatte irgendwann einmal seine Grenzen. Er wurde Lauter mit seinen Worten. „Stark warst du nur, solang du noch geglaubt hast, schwach zu sein.“ „Ich ruf dich nicht!“
„Du wirst mich rufen!“ „Ich such dich nicht!“ „Du wirst mich suchen!“ „Ich tanz nicht nach deiner Pfeife.“ „Achja?“ „Wenn ich tanzen will, dann tanz ich so wie's mir gefällt. Ich allein bestimm' die Stunde. Ich allein wähl die Musik. Wenn ich tanzen will, dann tanze ich auf meine ganz besondre Art. Am Rand des Abgrunds oder nur
in deinem Blick.“ Warum kamen ihm diese Worte so bekannt vor? Er hatte sie ihr gelehrt.

„Sei nicht so stur Elizabeth, du hast mir gute Dienste geleistet und ich will dir dafür was geben, aber nicht ohne Gegenleistung.“ Misstrauisch mussterte sie ihn. „Warum sollte ich das wollen?“ „Weil's Freiheit für dich ohne mich sonst nicht gibt.“ Das hatte sie fast vergessen. Er war ihr Schöpfer, ihr Vater. Langsam sank sie zu boden und starrte ins Leere. „Manchmal in der Nacht fühl ich mich einsam und traurig, doch ich weiß nicht, was mir fehlt.“ Unruhig lauschte er ihren Worten. „Manchmal in der Nacht hab ich phantastische Träume. Aber wenn ish aufwach, quält mich die Angst. Ich lieg im Dunkeln und warte. Doch worauf ich warte, ist mir nicht klar.“ Es ließ ihn kalt was sie sagte.

Das ersten Mal seit langem war ihr wieder zum Weinen zu Mute. „Manchmal in der Nacht spür ich die unwiderstehliche Versuchung einer dunkeln Gefahr. Ich hör eine Stimme, die mich ruft. ... Ich kann deine Stimme hören.“ So schweigsam kannte sie ihren Sylvesters gar nicht. Sie sprach einfach weiter. Diese Worte kamen aus ihrem Herzen und Elizabeth musste nicht nachdenke was sie zu sagen hatte. „Ich fühl die Macht eines Zaubers, der mich unsichtbar berührt. Manchmal in der Nacht bin ich so hilflos und wünsch mir es käm einer, der mich führt und beschützt.“

Sein Gehör hatte sie noch imma nicht. Dann versuchete sie es mal so: „Manchmal in der Nacht kann ich es nicht mehr erwarten. Ich will endlich deine Frau sein und frei. Ich will Verbot'nes erleben, und die Folgen sind mir ganz einerlei. Ich spür eine Sehnsucht, die mich sucht…“ Hatte sie soeben „deine“ Frau gesagt? Ja, das hatte sie und Elizabeth hatte dieses Wort nicht bereut. Wie schön doch seine Stimme auf einmal klang. „Sich verlieren heißt sich befrein. Du wirst dich in mir erkennen. Nichts und niemand kann uns trennen wenn du bereit dafür bist, versteht sich.“

Wenn es doch wirklich so wäre, dachte sie und verliebte sich in seine Worte. „Tauch mit mir in die Dunkelheit ein! Zwischen Abgrund und Schein verbrennen wir die Zweifel und vergessen die Zeit. Ich hüll dich ein in meinen Schatten und trag dich weit. Du bist das Wunder, das mit der Wirklichkeit versöhnt.“ „Mein Herz ist Dynamit, das einen Funken ersehnt.“, antwortete Elizabeth ihrem dunklen Freund. „Du bist zum Leben erwacht! Die Ewigkeit beginnt heut Nacht.“ Er streckte seine Arme nach ihr aus.

Wie oft hatte sie sich das schon gewünscht? Sylvester nahm sie in seine Arme und sie durfte sein Herz schlagen hören. „Manchmal denk ich, ich sollte lieber fliehn vor dir solang ich es noch kann.“ Es war schrecklich für ihn sie sowas sagen zu hören. Schnell berichtigte sie ihre harten Worte und gab ihm das Gefühl sie gehöre ihm. „Doch rufst du dann nach mir, bin ich bereit dir blind zu folgen. Selbst zur Hölle würd ich fahren mit dir. Ich gäb mein Leben her für einen Augenblick, in dem ich ganz dir gehör. Ich möcht so sein, wie du mich haben willst, und wenn ich mich selber zerstör!“ „Ich spür deine Sehnsucht, die mich sucht.“ Es klang so nüchtern und ohne jedes Anzeichen von wahren Gefühlen. Doch seine Finger in ihren Haaren verrieten diese Zährtlichkeit die seine Worte zu verbergen versuchten.

„Ich hab mich gesehnt danach, mein Herz zu verlieren. Jetzt verlier ich fast den Verstand. Einmal dachte ich, bricht Leibe den Bann.“ Sie zitterte in seiner Umarmung. „Jetzt zerbricht sie gleich deine Welt.“, ergänzte er für sie den Satz. Eine einzelne Träne floss über ihre bleiche Wange. „Wir fallen, und nichts was uns hält.“ Das war das einzig wovor sie beide Angst hatten.

Könnte er wegen einer Frau sein Vorhaben aufgeben? Und sie sein Glück über das ihre Stellen? „Sich verlieren heißt sich befrein. Verbrennen wir die Zweifel und vergessen die Zeit. Ich hüll dich ein in meinem Schatten und trag dich weit.“ „Du hüllst mich ein in deinem Schatten und trägst mich weit?“ „Ja Elizabeth, weit weit weg von hier.“ Ein Versprechen das er Jahre lang hielt. Elizabeth wusste es, sie wusste das ihr Glück nicht lange halten konnte.

Ihr Geliebter überschätzte sich, und diesen Fehler musste er nicht nur mit seinem sonst unsterbliche Leben bezahlen. Andächtig sah sie den hellen Vollmond der seine sanften Strahlen auf sie legte. „Die dunkle Ahnung, sie erfüllte sich und der Gedankenkreis schließt sich um mich. Ich kann uns sehen im Abendlicht, niemand hielt seine Hände über dich. Das letzte Mal mit dir, ein aufgelöstes wir, die Zukunft endet jetzt und hier.“ Ihr Herz zersprang in tausend kleine Scherben. Die traurigen Worte waren nur ein leises seuseln im Wind. „Unsere Welten trennt ein Augenblick, das Rad der Zeit dreht sich nicht mehr zurück. Der letzte Schwur, auf ewig dein. Wird meine Seele mit dir sein?“ Einzelne Tränen ergossen sich über ihre Wangen. „Das letzte Mal mit dir, ich seh ins Licht und frier, die Zukunft endet jetzt und hier.“ Das konnte doch nicht schon das Ende sein.

Elizabeth durfte die Liebe erfahren, dann entriss man sie ihr wieder. Es war einfach ungerecht. Sylvester ließ sich doch sonst nicht so schnell unterkriegen. Nächte lang stand sie auf der Brücke wo sie ihre Liebe besiegelt hatten. „Was kommt am Ende? Fließt dieser Fluß ins Nichts? Sende ein Zeichen, von dort wo du jetzt bist.“ Sie müsse nur warten bis die Sonne aufginge. Dann wären sie wieder vereint. Es war ihr egal das ihre Haut in den grellen Strahlen der Sonne verbrennen würde. Plötzlich erhörte sie noch einmal seine Stimme in ihrem Ohr: „Gib jetzt nicht auf Elizabeth. Wir sind zu weit gekommen um jetzt auf zu hören.“ Jetzt flossen die Tränen in Strömen. „Sylvester.“, murmelte sie. Es war so als berührten er mit seinen Fingern ihre Wange und versuche sie zu trösten. „Es wird in deinem Ewigen Leben noch ander geben. Sei nicht traurig sondern freu dich das du endlich von mir befreit bist.“

Ihr stockte der Atem und sie stand starr vor dem Geländer und umklammerte es krankhaft. Ihre Worte: „Ich sehne den Tag herbei an dem ich endlich von dir befreit bin.“ Hastig schüttelte sie den Kopf. Das kann und darf nicht wahr sein, schallte es lautstark hinter ihrer Stirn. Sie nahm den Ring den er ihr geschenkt hatte ab und sah zu wie er dem Wasser immer näher kam und dann schließlich mit einem platschen in den Fluten verschwand. „Du warst mein Lebenslicht, was soll ich ohne dich? Mehr Liebe gibt es nicht, auf dieser Welt.

Denke irgendwann an mich, wo du jetzt bist...