Der Traum

(Copyright by Tessy)

Sie schlug die Augen auf, sie spürte das sie zitterte. Schweiß bedeckte
ihren Körper, doch sie erinnerte sich nicht mehr an den Traum. Es musste ein
schrecklicher Traum gewesen sein, auch ob sie geschrieen hatte, daran
erinnerte sie sich nicht mehr. Ihre Lippen waren trocken, sie fuhr sich mit
der Zunge über die Lippen, doch es half nichts. Sie setzte sich auf und
schlug die Decke zur Seite, es war noch dunkel im Zimmer. Die Gardinen waren
zu gezogen und sie erkannte nur die Umrisse der Regale, des Schrankes und
von ihrem Spielzeug. Sie kletterte aus dem Bett, mit ihren kleinen Füßen
schlüpfte sie in die Pantoffeln. Ihr Schlafanzug war ihr noch etwas zu groß,
doch sie fand ihn so schön mit den kleinen Mustern darauf. Sie ging zu Tür
und die kleinen Finger schlossen sich um die Türklinke, sie drückte sie
hinunter und die Tür schwang leise quietschend auf. Sie lauschte, kein Laut
war zu hören, erst als die Tür ganz offen stand ging sie hindurch. Sie ging
den Korridor entlang der sich vor ihr erstreckte, sie hatte Angst. Immer
wieder schaute sie sich um, "warum hatte sie Angst", sie kannte dieses Haus
so lange sie denken konnte und doch, es machte ihr Angst. Sie ging weiter,
hier und da tauchten große schwere Holztüren am Korridor auf, sie ging und
ging. Sie hatte das Gefühl als würde der Korridor nie enden, sie war so
klein in diesem großen Korridor. Sie sah die Umrisse der großen Gemälde die
ihr Vater so liebte, doch sie hasste sie. Es waren schreckliche Gemälde, wie
sie fand, Gesichter, über all Gesichter waren drauf zu sehen. An manchen
Tagen glaubte sie, dass diese Fratzen sie beobachteten, sie mit stechenden
Blick anstarren würden. Sie blieb stehen und schaute die Tür an, die sich
vor ihr erhob, eine mächtige Holztür, die über und über mit Mustern und
Schnörkeln verziert war. Sie griff an die Klinke, musste sich auf
Zehenspitzen stellen und umschloss mit den Fingern das kalte Eisen. Sie
drückte bis es Klick machte und sie die Tür aufdrücken konnte, nur langsam
schwang die Tür zur Seite. Ein schwacher Lichtschein fiel durchs Fenster
ins das Zimmer und warf unheimliche Schatten auf die Erde und Wände. Sie
zögerte und schaute vorsichtig in den Raum bevor sie schließlich eintrat,
die Fußbodendielen knartschten und knackten. Der große Tisch aus Eichenholz
hob sich gut sichtbar von dem Dämmerlicht ab, um ihn standen vier Stühle,
wie lächerlich klein sie doch wirkten bei diesem mächtigen Tisch.
Sie ging auf den Tisch zu und nahm einen der Stühle, sie zog ihn mit einen
scharrenden Geräusch zu den hohen Schränken, die sich an der
gegenüberliegenden Wand aufreihten und wie stille Giganten vor ihr
aufragten. Sie stellte sich auf den Stuhl und öffnete eine der
Schranktüren, ein silberner Lichtstrahl schien ihr entgegen als das Licht
des Mondes sich in den kristallklaren Gläsern spiegelte. Sie griff danach
und bekam ein kleines unscheinbares Glas zu fassen, sie wusste dass sie nicht
die großen schönen Gläser haben durfte. Sie stellte das Glas vor sich auf
die Platte und stieg wieder vom Stuhl hinunter, wieder erklang das
scharrende Geräusch als sie den Stuhl zurück an seinen Platz zog. Das Glas
stand auf der Platte und wartete auf sie, sie nahm es uns füllte es mit
Wasser, das Mondlicht viel in den Raum und traf auch das kleine Glas mit
Wasser. Das Wasser warf kleine leicht farbliche Kreise auf die Platte. Sie
nahm es in die Hand und trank, in kleinen Schlücken rann ihr das
kühle Nass die Kehle hinunter und belebte sie. Scheppernd und klirrend fiel
es hinab und zerschellte, viele Scherben säumten die Erde und sie schaute
entsetzt auf die Scherben. Wie viele kleine Sterne funkelten sie sie an als
das Licht sich in den Scherben brach. Sie kniete sich hin und fing an sie
einzusammeln, ein stechender Schmerz durchfuhr ihre Hand und sie spürte wie
warmes, rotes Blut ihre Finger hinab ran, ein Tropfen löste sich von ihrer
Haut und fiel in die Tiefe, er zerschellte in tausend kleine Tropfen und
viele weitere folgten ihm. Sie dachte wieder an den Traum und steckte
Gedanken verloren den blutenden Finger in den Mund und erhob sich. Auch in
ihren Traum war Blut gewesen, daran erinnerte sie sich, aber es war nicht
geflossen, es war verschwunden, sie verliess das Zimmer und ließ die
glitzernden Scherben hinter sich zurück. Sie trat in den Korridor, die
Dielen knartschten und irgendwo in der Wand war ein leises Rascheln zuhören.
Sie hörte wie der Wind ums Haus wehte und sein leises Lied sang, im ganzen
Haus herrschte Stille. 
Sie schaute den Korridor hinab in der die Tür zu ihren Zimmer lag, sie
wollte nicht mehr schlafen, die Bilder ihres Traumes flammten wieder vor
ihren Augen auf. Sie stand auf dem Korridor und starrte ins Leere, Bilder
viele Bilder sah sie und es waren keine guten Bilder, sie konnte sie aber
nicht vertreiben. Sie sah eine Frau die schon alt war und ein kleines
Mädchen an der Hand hielt und dann war die Frau verschwunden, nur das
Mädchen war noch da. Das Mädchen ging den gleichen Weg entlang den sie
ebend mit der alten Frau noch gegangen war, doch es war nun älter als
ebend. Sie sah dann wie das Mädchen vor einem Grab stand und
Blumen pflanzte, es weinte, der Schmerz des Mädchens musste so tief sitzen
dass selbst sie ihn noch spürte. Sie zitterte, doch die Bilder gingen nicht
fort, immer mehr Bilder stürzten auf sie nieder. Das Gesicht der alten Frau
tauchte wieder vor ihren Augen auf, sie schrie, sie kannte das Gesicht doch
woher wollte ihr nicht einfallen. Die Augen der alten Frau waren leer, weiß
und starrten ins Unendliche, das Gesicht war weiß und blutleer, das Blut war
verschwunden und hatte eine weiße eingefallende Haut hinterlassen. Sie
schrie, doch das Bild des Gesichtes hatte sich eingebrannt und liess sich
nicht vertreiben. Zitternd und schluchzend sank sie auf sie Erde, die Tränen
liefen über ihre Wangen und ihre Augen wurden rot. Ihre kleine Hand tastete
nach der Wand, sie fühlte die harten kalten Dielenbretter, die Fasern des
Holzes und schließlich die eiskalte Wand, es tat weh sie zu berühren, die
Kälte kroch von den Fingern hinauf bis zum Herzen und verharrte dort. Die
Wände waren eisig kalt auch die Tapete mit den Blumenmuster half da nicht
viel. Ihre Mutter hatte damals diese Tapete ausgesucht als sie hier her
gezogen sind, doch sie war hässlich wie sie selber fand. Sie stand wieder
auf, die Bilder verblassten, hin und wieder schluchzte sie noch, nun wischte
sie sich die Tränen aus den Augen. Sie lauschte in die Nacht hinein, es war
noch immer alles still, hatte niemand ihren Schrei gehört, hatte sie
überhaupt geschrieen oder hatte sie es sich nur eingebildet, sie wusste es
nicht. Sie sah sich um, es viel noch immer das Mondlicht in den Raum hinter
ihr und warf Schatten auf den Korridor, Schatten die nach ihr griffen. Sie
versuchte das Ende des Korridors zu erspähen, aber schon nach wenigen Metern
liess das matte Dämmerlicht nach und verlor sich in der Dunkelheit. Zögerlich
ging sie den Korridor zurück zu ihrem Zimmer, immer wieder schaute sie auf
die großen Gemälde die an der Wand hingen. Eine Tür knarrte, sie blieb
stehen und lauschte, doch das Knarren der Tür wiederholte sich nicht. Sie
ging zu einer Tür die ihr am nächsten war, legte ein Ohr an die Tür und
lauschte, nichts war zu hören, langsam trat sie einen Schritt zurück den
Blick aber immer noch auf die Tür geheftet. Dann drehte sie sich um und
schrie auf, da stand jemand und sie schrie. Die Gestalt rührte sich, sie
kniete sich nieder und griff langsam nach ihrer Schulter. Sie schluchzte nur
noch , der Hals tat ihr vom schreien weh, sie zitterte am ganzen Leib. Sie
wollte weg, doch wohin, kein Weg versprach zu entkommen, also blieb sie wie
angewachsen stehen. Nun sah sie, dass es ein Mann war der vor ihr hockte,
seine Hand ruhte auf ihrer Schulter, er lächelte sie an. Seine langen Haare
wellten sich und fielen in einen langen Fluss über seine Schultern, sein
Lächeln war so klar und doch verschlossen, seine tief braunen Augen, die sie
musterten, irritierten sie. Sie waren kalt, kein sichtbares Leben spiegelte
sich in ihnen und seine Haut war blass, sonderbar blass. Sie zitterte noch
immer , aber die größte Angst hatte sich gelegt, nun machte sie der
Neugierde platz. Sie betrachtete ihn erneut, er sah alt aus, sehr alt , aber
er hatte doch die Züge eines Knaben. Er schaute sie an und hielt ihr dann
eine Hand hin, sie schaute auf die Hand, sie schien so stark und doch so
zerbrechlich. Er hielt sie ihr noch immer hin, >>Phebe komm, komm mit mir,
ich muss dir etwas erzählen.<< Er lächelte und hielt ihr noch immer, nun
auffordernd die Hand hin. Sie zögerte, nahm sie dann aber, die Hand war
kalt und doch voller Wärme. Er ging mit ihr den Korridor zurück, unter ihren
Füßen knarrten die Dielenbretter, aber seine Füße gaben kein Geräusch von
sich auch die Dielenbretter knarrten nicht. Sie schaute ihn verwirrt an,
aber folgte ihm schweigend. Sie ging an dem Zimmer vorbei wo noch immer die
Scherben auf der Erde lagen, sie warf einen letzten flüchtigen Blick in das
Zimmer, es war alles so wie sie es verlassen hatte, bevor er mit ihr den
nächsten Korridor entlang ging und die große Treppe am Ende das Korridors
hinab stieg.
Er hielt ihre Hand und führte sie durch das dunkle Haus, viele Gänge und
Korridore entlang, bis sie den Westflügel erreichten. Dieser Teil des Hauses
war nicht bewohnt und noch dunkler und unheimlicher als der Rest des Hauses,
sie fröstelte, er blieb stehen, nahm seinen Mantel von den Schultern. Er
hängte ihn ihr über die zierlichen Schultern und wickelte sie hinein, er hob
sie dann hoch, sie kuschelte sich in den Mantel und in seinen Arm. Mit weit
ausladenden Schritten eilte er den Korridor hinab, die leicht schaukelnde
Bewegung machte sie schläfrig wie er sie so fest im Arm hielt. Sie wusste
nicht wie lange er mit ihr noch durch die Korridore geeilt war, sie musste
eingeschlafen sein denn er weckte sie mit einer sehr wohltuenden Stimme. Als
sie die Augen aufschlug fand sie sich auf einem großen Himmelbett wieder,
eingebettet in Kissen und weichen Decken. Schläfrig rieb sie sich die Augen
und stützte sich auf den Ellenbogen ab, er saß auf der Bettkante und
lächelte sie an. >>Phebe, ich muss dir etwas erzählen<<, seine Stimme war
sanft und doch hatte sie etwas kaltes und hartes in sich. >>Deine Großmama
ist gegangen, sie hat die Welt das Lichtes verlassen<<. Er legte eine Hand
auf ihre Schultern und schaute sie mit traurigen Augen an, doch sie spürte
nichts. Mit trüber Stimme fragte sie, >>In meinen Traum war sie auch, sie
hielt mich an der Hand und dann war sie fort und ich stand alleine da. Ich
habe gesehen wie ich alt wurde und die Trauer mich zerfraß wie ein Wurm das
Holz.<< Er nickte >> Ja Phebe, sie ist fort, aber nur aus dem Licht, sie
lebt nun in der Dunkelheit. Sie ist nun ein Engel Phebe, ein Engel.<< Er
senkte den Blick, sie schaute ihn an und stumme Tränen rannen über ihre
Wangen. >>Warum ist sie ein Engel? Leben Engel nicht im Licht?<< Er wischte
ihr sanft die Tränen von den Wangen. >> Phebe, sie ist ein Engel der Nacht
ich habe sie dazu gemacht.<< Er lächelte schwach, sie zitterte leicht, aber
mit klarer fester Stimme und einer Ernsthaftigkeit die für kleine Mädchen eher
ungewöhnlich ist, sagte sie, >> Ich will auch ein Engel werden, so wie
Großmama, ich will zu ihr. Ich habe gesehen was passiert in meinen Traum,
die Trauer wird mich zerfressen, ich habe gespürt wie tief sie sitzt.<< Er
zuckte zusammen und schüttelte den kopf. >> Nein Phebe, sag so etwas nicht,
du weißt nicht was du da sagst, was ist mit deinen Eltern, sie lieben dich
und würden dich sehr vermissen.<< Er schaute sie an, sie schaute auf das
schneweisse Bettlacken. >>Meinen Eltern ist es egal<<,sie schluchtzte, er nahm
sie langsam und zögerlich in den Arm. >> Bitte mach mich auch zu einen Engel
der Nacht, du kannst es mir nicht antun, die Trauer, den Schmerz und das
Leid ich habe es gesehen es war schrecklich. Sie schluchzte und schaute ihn
aus ihren blauen Augen an, die noch voller Leben waren. >>Es würde sehr weh
tun Phebe und du würdest das Licht und alles was dir Lieb ist nie wieder
sehen.<< Nun schaute auch er sie wieder an, >>Das ist mir egal, ich will bei
dir und Großmama sein, ich will nicht den Schmerz fühlen, das Leid und den
Schmerz.<< Er seufzte, nickte dann aber ganz langsam, er wiegte sie im Arm
und summte leise. Sie kuschelte sich in seinen Arm, er beugte sich über sie.
Ein Kribbeln durchfuhr sie, das Blut pochte in ihren Hals und sie wurde
müde, sehr müde und alles verschwamm vor ihren Augen. Sein Gesang hatte
aufgehört und nun sang er wieder und etwas benetzte ihre Lippen, sie trank
gierig. Ein Schmerz durchfuhr sie und sie weinte, er wiegte sie, strich ihr
durchs Haar und sang leise. Sie wand sich in seinem Arm vor Schmerz, aber er
hielt sie mühelos fest und dann war alles vorbei. Sie hatte Durst, sie
wollte etwas sagen und biss sich auf die Zunge, sie schmeckte Blut in ihrem
Mund, es schmeckte süßlich und sie wollte mehr. Sie spürte ihre spitzen
Eckzähne die so scharf waren wie Messer. >>Ich habe mich auf die Zunge
gebissen<<, Er lachte leise als sie es sagte und etwas Blut lief ihr aus den
Mundwinkeln, er küsste es weg. >> Du wirst noch lernen mit ihnen umzugehen,
meine kleine Phebe, süßer Engel der Nacht. Aber nun schlaf, der
Morgen ist nicht mehr weit.<< Sie schaute ihn an, aus ihren blauen Augen war
alles Leben verschwunden. Sie nahm Farben wahr die sie in solcher Stärke nie
gekannt hatte, die Nacht war nicht mehr schwarz sondern in einem
wunderschönen Grau, wie sie fand. Sie spürte wie das Blut pulsierte und sie
lockte, doch er hielt sie fest, sang und wiegte sie in den Schlaf. Sie
schloss die Augen und verfiel in die Starre in die sie nun die nächsten
Jahrhunderte jedes mal im Morgengrauen verfallen würde.

Copyright by Tessy