Tochter der Nacht

 (Copyright by Puck)

„Tiefer,“ sagst du, „Tiefer. Lass sie fallen, lass dich nur fallen in dich.“ In deinen Augen glitzt das Licht der letzten Kerze. Ja, denke ich, du bist schön. Du bist die Tochter des Mondes und des irdischen Feuers. Dein Lächeln ist sanft wie eine Blüte, doch wenige Augenblicke später kann es erfüllt sein von Feuer und Gier wie die brennende Sonne des Sommers.

Nein, sieh mich nicht an in dieser Weise, doch nimm deine Augen nie wieder fort von mir. Tränke mich an deinen Blicken, in ihnen will ich ertrinken. Die Worte derer, die mich Schönheit lehrten, will ich vergessen in deinem Anblick. Ihre Bilder, ich will mich nie mehr fort vor ihnen verneigen, bis sie ihr Haupt senken vor dir.

Die Worte der Dichter und der Legion der großen Schreiber, was sind sie gegen deiner Stimme Klang? Und doch; wie soll ich deinen Worten folgen, verzaubert durch allein den Widerhall deiner weichen Stimme Melodie in meinem Leib? Lass deine Zunge nie verstummen. Nähre mich mit den Liedern deiner Worte. Sprich zu mir, und was du sagst, wird mir Befehl. Flute mich, dass ich mich treiben lassen kann.

Dein Haar, ein dunkler Fluss auf meinem Leib. Und ich spüre, wie ich mit ihm fließen will. Fließen mit dir. „Lass dich nur fallen in dich.“ Fallen heißt fließen. Mein Geist strömt fort von mir. Dein Haar und deine Lippen strömen über mich.

Ich habe geträumt von deinem Mund, bevor du kamst. Ich träumte von ihm den Morgen vor dem letzten Tag und ich träumte von ihm an dem Morgen nach der ersten Nacht. Ich träume von ihm an jedem Tag seither. Im Schlaf ist er mir eine Blume, die ich küsse, schmecke. Was mir bleibt nach jedem Traum ist sein Geruch. So schwer, dass er mich taumeln lässt wie der Wind ein Blatt vor sich treibt.

Leicht ist dein Körper. So leicht, dass ich ihn mühelos heben kann. Doch ist es mir, als trügest du mich, wenn du deinen Arm an meinen Leib legst. Selbst die leiseste Berührung deiner Haut lässt die Welt um mich herum erstarren, als lebten wir für Momente fernab der Zeit oder vielleicht zwischen ihr hindurch. „Noch tiefer!“ höre ich dich rufen, und ich weiß, dass deine Stimme nicht lauter ist als das Flüstern des Grases unter dem Morgentau. „Fühle tiefer. Fühle noch weit tiefer in dich! Du bist noch nicht an dem Grund, an den ich dich führen werde.“ 

Der Fluss der Zeit tritt über die Ufer durch ein Lächeln von dir. Der immerdar gleichförmige Strom schwillt an zu einer Flut, als schmölzen Gletscher aus Tagen und Stunden ineinander, mich wehrlos fort zu reißen mit sich. Mich zu schleifen. Mich an ihren Mäandern der Sinne zu berauben. Im Sturz über den Grat der Welt alle Sinne meines Körpers in einem Augenblick zu erfüllen.

Sag, woher stammt der Duft deines Körpers? Woher stammen die Farben und Klänge, die mich in ihm überschwemmen? Warum sehe und höre ich, wie es unter der Sonne unserer Welt und durch die uns umgebende Atmosphäre nicht möglich ist. Gierig atme ich jedes Molekül, das dein Körper mit unserer Welt zu teilen bereit ist. Ich sauge deinen Geruch in mich wie eine Droge aus fast vergessenen Erinnerungen. Das Parfum deiner Haut und der wilde Cocktail deiner Pheromone fließen durch die Gewebe meiner Lunge. Einem dünnflüssigen Magmastrom gleich lodern sie durch jede Arterie und jede Kapillare. Überschwemmen jede einzelne Zelle in mir.

Ja, du bist schön, denke ich und spüre deine Lippen an meinem Hals. Ich werde in Stunden die Augen aufschlagen und in das Licht der Sonne blicken. Schwach wird mein Herz nach dir schlagen. Du wirst fort sein, und du wirst wiederkommen. Du bist mir eine Droge, nach der ich mich verzehre in jeder einsamen Nacht. Ewig und immer wird der Morgen kommen und mich trennen von dir, geliebte Tochter der Nacht.