Olga

(Copyright by Mathias Hofmann (morph79@web.de))

Er saß des Nachts gerne an ihrem Ufer. Wenn sich das Mondlicht glitzernd auf der sich kräuselnden Moldau brach wurden die Erinnerungen an frühere Zeiten geweckt. Victor fragte sich, ob sie wohl noch am Leben sei.

Olga ging gerne an der Moldau entlang, er sah ihr dabei immer zu. Er mochte es wenn der Wind ihr dunkles Haar durchkämmte und das Sonnenlicht ihre Augen zum Glänzen brachte. Ihr herzerfrischendes Lachen klingt noch heute in seinen Ohren. Allein die Sehnsucht danach, sie noch einmal sehen oder gar ihr Lachen hören zu können hielt in davon ab, sich dem Sonnenlicht zu übereignen.

Ein schwarzer Schatten verdunkelte die Erinnerung. Seine Gier keimte erneut in ihm, seine Natur verdunkelte das Menschliche. Er pflegte üblicherweise seinen Hunger sittsam und ohne Aufsehen zu stillen, doch in dieser Nacht hatte er seinen Erinnerungen zu lange nachgehangen. Eile ward geboten wollte er doch nicht, dass das Tier in ihm sein Handeln kontrolliert. Das Tier das fressen will und sich dabei nicht um Belanglosigkeiten wie zum Beispiel die Stadtgarde schert. Er mochte gar nicht daran denken, was sie mit dem armen Pavel angestellt haben. Seine Raserei war sein Verhängnis und sein Kopf die Trophäe der Garde.

Victor glitt die Mauern entlang. Weg vom Ufer der Moldau wo das Licht zuviel seiner schattenhaften Gestalt preisgab. Er duchstriff die engen Gassen, wie lange schon vermochte er nicht zu sagen. Wie ein Wolf seine Beute hetzt, so hetzte er seinem Trieb hinterher. Er kannte jede dieser Gassen, doch diese würde er wohl nie vergessen. Er erkannte sein altes Haus. Niemand wohnte mehr dort, die Läden der Fenster wurden seit Ewigkeiten nicht mehr geöffnet. Olga verließ die Stadt nachdem sie seine Leiche fand. Er erinnerte sich an diesen Abend.

Er war gerade dabei das letzte paar Schuhe zu flicken, als es an seiner Tür klopfte. Ein nobler Herr aus Rom stand vor ihm. Er wusste dass der Dekan des öfteren römischen Besuch erhielt, jedoch mieden die Herren für gewöhnlich dieses Viertel. Er ließ ihn ein, denn jedes Paar Schuhe brachte wieder Essen auf den Tisch. Als er die Tür hinter dem Herren ins Schloss fiel, fiel dieser sogleich über Victor her. Er wusste nicht wie ihm geschah, bis er nach der Wärme am Nacken einen unerträglich Schmerz verspürte. Er wurde bewusstlos. Er starb mit wachem Geist. Er erinnerte sich noch sehr gut an den Priester, seine Frau die jammernd und dem Wahnsinn nah auf seine Brust trommelte, an den Karren, der ihn laut ächzend auf den Friedhof transportierte und an den Geschmack der Erde in seinem Mund. Er musste dort Tage gelegen haben.

Sein Hunger riss ihn aus seinen Gedanken. Ein Quieken weckte all seine Sinne. Sein Griff schlug nach der Ratte die sich nun um ihr Leben windend in seiner Faust befand. Er verfluchte diesen törichten Pavel. Hätte dieser nicht die Furcht vor Vampiren in den Leuten wieder hervorgerufen müsste er jetzt nicht dieses stinkende Rattenblut saufen. Er kniete vor seinem Haus im Dreck und trank. Er fühlte sich jämmerlicher denn je, und mehr denn je sehnte er sich nach seinem alten Leben. Er öffnete die Tür und betrat sein zu Hause. Es roch nach Staub und Rattendreck doch erkannte er jedes Detail wieder.

Die verrußte Kochstelle, dem verkratzten Tisch, den Stuhl ohne Lehne. Noch immer hielt er den Rattenkadaver in seinem Griff und wieder wurde er an seinen unerträglichen Hunger erinnert. Seine Würde missachtend Kroch er nun auf allen Vieren gleich einem hungrigen Köter über den Boden und witterte nach Ratten. Sein Suche durch sein Haus verlief nun schon seit einer Stunde erfolglos. Er zitterte, und mit jeder zusätzlichen Minute die verstrich verlor er ein wenig mehr die Kontrolle über sich. Er durfte jetzt nicht nachgeben. Wieder kam ihm das Schlachtfest der Garde und Pavel in den Sinn. Panik überkam ihn. Er musste raus. Weiter. Essen. Seine Beine trugen ihn wie vom Teufel selbst geritten hinaus.

Er packte die arme Gestalt, die sich in seine Nähe, in dieses Viertel verirrt hatte und schlug seine Zähne in ihren Hals. Er trank als würde er nie wieder etwas trinken können. Er spürte das Feuer seinen Körper durchfließen. Eine angenehme Befriedigung stellte sich ein und er trank mehr. Ein Glücksgefühl überkam ihn, er trank. Sein Verstand gewann wieder die Oberhand und er dachte daran sich nach Zeugen des Schauspiels umzusehen. Niemand war zusehen und er trank weiter. Die Arme der Frau in seinen Fängen schienen ohne Leben. Sie starb. Während der Leichnam auf den Boden schlug warf er seinen Kopf weit zurück und ließ das frische Blut seinen Körper durchströmen. Laut zischend trug er seine Befriedigung nach Außen. Er nahm seinen Kopf nach vorn und betrachtete den Kadaver.

Olga war tatsächlich noch am leben.

Bis heute.