Biss
(Copyright by Ninui)

Es war, als wäre er mit der Dunkelheit verschmolzen gewesen, und träte nun daraus hervor. Seine Haut war weiß, durchscheinend und seine Augen glühten, als brenne ein ewiges Feuer in ihnen. Er schien damit bis in ihre Seele blicken zu können, und auf das was vielleicht noch dahinter lag.

Eigentlich hätte sie schon allein vom Instinkt her Angst vor ihm haben müssen, doch seine Schönheit und dieser Blick fesselten sie so sehr, dass sie sich nicht vom Fleck rühren konnte. Er lächelte ohne die Zähne zu entblößen. Seine Mundwinkel zitterten, als wenn er nur schwer ein richtiges Lachen zurückhalten könne. Er kam langsam näher und sie sah, dass seine Züge vollkommen ebenmäßig waren, wie aus Marmor, und gleichzeitig schienen unendlich viele Fältchen und Schatten auf seinem Gesicht zu spielen. Manchmal fiel ihm eine Strähne des nachtschwarzen, langen Haares ins Gesicht und er hob eine seiner schlanken Hände um sie beseite zu nehmen. Eine Statue, wie von einem Gott gefertigt. Vollkommen lebendig wirkend, doch so übernatürlich, dass sie unmöglich wirklich sein konnte.

Er ließ den Blick nicht von ihr, musterte sie von oben bis unten, und kam näher.

Es schien ihr, als wenn sie mit dem Rücken an einer unsichtbaren Wand stand, jedenfalls konnte sie nicht zurückweichen, konnte sich nicht von ihm wenden, sich seiner geheimnisvollen Ausstrahlung entziehen.

Letztendlich war er so nahe, dass sein weiter Umhang sie berührte und er ihr direkt in die Augen sah.

Sie waren absolut schwarz, - was sie bei dem Rest seiner Erscheinung nicht mehr besonders überraschte - und schienen wie bodenlose Brunnen mit dunklem, sich bewegendem Wasser. Sie hätte sich auf ewig in den Tiefen verlieren können, hätte er nicht die Hand gehoben und ihr Gesicht berührt. Sie fühlte sich an wie Eis. So kalt.

Eine Gänsehaut bildete sich an ihrem ganzen Körper als er über ihre Wange strich. Das Lächeln wich nicht aus seinem Gesicht und er beugte sich immer näher zu ihr.

Kurz bevor seine Lippen die Ihren berührten, neigte er den Kopf. Sie spürte seinen Atem an ihrem Hals, kühl wie der Winterwind und wie er seine Hand sanft um ihren Nacken legte. Sie bemerkte nur noch einen kurzen, heftigen Schmerz und dann war alles taub. Gerade als sie sich an eine alte Sage erinnerte, die ihr ihre Großmutter erzählt hatte, als sie klein war, von lichtscheuen Wesen, die sich nur von Menschenblut ernähren und unsterblich seien, wurde all ihr Denken ausgelöscht und eine Stimme hallte in ihrem Kopf wider: ‚Ich werde dich von diesem Leben befreien‘

Leise und doch deutlich hörbar. Der Satz wiederholte sich, immer und immer wieder, während sie fühlte, wie sie immer schwächer wurde und sich die Taubheit langsam in ihrem ganzen Körper ausbreitete. Darauf folgte eine wohltuende Wärme, die sie umfing und schläfrig machte.

Aus dem sich wiederholenden Satz war längst ein monotones Auf und Ab geworden, wie ein ewig aufgesagter Zauberspruch, der die seltsamen, glucksenden Geräusche nicht ganz überdecken konnte.

‚Als wenn jemand zu hastig trinkt‘, dachte sie, und ihr wurde schwarz vor Augen.