Morbus Amoris

(Copyright 2001 by Odem)

Seit Wochen stand die Luft klar, spröde und kalt. Nachts ging der Mond, klar und groß über die Felder und dessen dumpfes Licht, schimmerte dann blau und stark auf dem Schnee.
Dieser Mond war fast schöner als meine verblassten Erinnerungen an die Sonne.
Ich stand auf meiner steinernen Terrasse im Hemd, die nackten bleichen Arme auf die Brüstung gestützt. Ich versuchte mit neugierigen Augen die Schrift der Sterne auf dem nachtblauen Himmel zu entziffern, doch sie waren nicht zu sehen.
Ja, es war wieder einmal Nacht. Es war spät, und man hätte schlafen sollen. Doch ich konnte nicht. Nicht nur, weil ich tagsüber tief schlummernd in meinem Bett aus Seide lag, nein, ich hatte tiefsitzende Sehnsucht.
Kaum war sie weg, hatte ich Sehnsucht nach ihr. Mein Kopf lief heiß bei dem Gedanken an sie.
Ich stützte meine warme Stirn auf das kühlende Geländer der Terrasse. Möglicherweise verhalf mir das, zu klareren Gedanken. Aber ich wollte nicht klar denken! Ich dachte nur an sie.
Bevor ich meine Augen kühl und stolz über mein Reich schweifen ließ,
legte ich meinen Kopf in den Nacken und sah noch einmal in den Himmel. Da sah ich am verglühten Himmel klein und weiß den ersten Stern aufgehen.
Erst dann, betrachtete ich den riesigen Wald der sich vor mir wie ein dicker Teppich erstreckte. Mein Anwesen war seit ewigen Jahrhunderten in dem Besitz meiner Familie und es war die berühmteste und merkwürdigste Schönheit des großen Gartens in dem es stand. Man konnte es von überallher sehen. Es stand allein und dunkel in mitten des dichten Waldes auf dem höchsten Berg und es selbst, war hoch genug dass man von dort aus, das ganze Tal problemlos überblicken konnte. Wie sehr genoss ich den Anblick, wenn ich mich auf der Heimkehr von meinen nächtlichen Streifzügen befand. Sie ging heute ausnahmsweise kurz vor Sonnenaufgang auf die Jagd. Sie war eine sehr gute Jägerin, und es war amüsant ihr dabei zu zusehen, doch zu zweit machte dieses nächtliche Ritual mehr Spaß.
Wie sehr liebte ich es, den Anblick des Schlosses, nur mit ihr teilen zu dürfen.
Sie war gerade eingetroffen, ich machte sofort kehrt und trat in den hohen, dunklen Raum.
Das Feuer im steinernen Kamin brannte nicht mehr. Es glimmte nur noch leise vor sich hin. Schnell schritt ich durch die Räume hinunter in den Keller. Der Keller ist meine eigentliche Wohnung und dazu ein riesiges Gewölbe das tief unter der Erdoberfläche liegt. Ich tigerte ohne Umschweife in den Süd-Flügel und hüpfte jede zweite Treppe abwärts. Ich nahm ihren Duft schon wahr, bevor ich voller Freude die schweren Eisentüren meiner Kellerwohnung aufriss, und da stand sie nun, in diesem hohen Raum, vor dem Bücherregal. Hochgewachsen, schlank, sie, die unübertroffene Schönheit in Person, sie suchte sich - wie immer, nach einer anstrengenden Jagd - ihren Lieblingsphilosophen und schaute nicht einmal auf, als ich vor ihr stand. Doch das war egal, ich liebte es sie zu beobachten.
Sie sagte: "Alles ist Leben und Wert, was wir lieben, und woraus wir Leben saugen können". Wie recht sie doch hatte. Sie wartete auf eine Antwort und liebkoste mich mit ihren Blicken. Ich antwortete nicht, denn sie wusste was ich dachte.
Während sie auf das Buch in ihrer Hand deutete fuhr sie fort: "Ich erinnere mich an die überaus holde Enttäuschung die ich erlebte, als ich den ersten Philosophen gelesen und erst nach manchem Kopfschütteln verstanden hatte. Bei Kant ging es mir nicht anders. Ich glaube ich habe die Welt noch nicht verstanden, ich glaube ich habe noch nicht DIE Wahrheit gefunden". Sie grübelte und kam mir entgegen.

Ich küsste sie, die sich lachend zurückbog, auf den offenen, starken Mund, sie gab nach, schüttelte den Kopf lachte und versuchte sich freizumachen. Ich hielt sie an mich gezogen, meinen Mund auf ihrem, meine Hand auf ihrer Brust, ihr Haar roch nach dem Winter, frischem Blut und dem tiefen Wald, in dem sie jede Nacht ihrem Jagdtrieb freien Lauf lies.
Einen Augenblick tief Atem schöpfend, bog ich den Kopf zurück und konnte nicht widerstehen zu fragen: "Wovor hast du mehr Angst, dem Tod oder dem Leben?"
Sie war, ernst geworden, sie seufzte, sie legte ihre Hand auf meine, drückte sie fester um ihre Brust, sah mir tief in die Augen und entgegnete: "Unser bisheriges Leben war eine Hölle, eine kalte und stille Hölle.
Es war ein Weg ohne Hoffnung, an dessen Ende nichts stand als Dunkel, Tod und vielleicht ein Ende.
Einsamkeit ist ein Gift das mich weder betäuben noch schmerzen kann, wenn ich mit dir bin.
Ohne dich will ich nicht sein. Im meinem Herzen sitzt Angst, mein Herz will nicht sterben, dieses Herz, hasst den Tod ". Ich war sprachlos und brachte das mit großen Augen zum Ausdruck.
Sie schmunzelte und erst als sie mir einen langen, leidenschaftlichen Kuss gab, fügte sie hinzu: "Du weißt, wir können nicht sterben. Warum also, machst du dir solche Gedanken?" Mein Blut wurde stiller und ich litt. Ich schämte mich so für diese dummen Fragen. Doch was sollte ich denn tun! Glück war vergänglich wie jedes Menschenleben auch. Ich liebte sie doch so sehr.
Sie kannte meine Gedanken und ich wand mich von ihr ab, um eine Flasche vom Kamin zu nehmen. Ich öffnete sie, schenkte ein, nahm es, wie die sterblichen in die Hand, und dabei eine menschenähnliche Pose an, doch ich führte das Glas nie an den Mund um daraus zu trinken. Sie wusste wie gern ich das tat. Ich kam mir dabei wie ein "richtiger" Mensch vor. Sie mochte es nicht. Sie war glücklich so wie sie war.
"Ich liebe dich. Ich habe Angst unter zu gehen. Bleibst du bei mir?" Ich stellte diese Frage wie ein kleiner Junge.
Sie nahm mir das Glas aus der Hand, legte den Kopf schief und lächelte: "Untergang, ist etwas das nicht existiert. Damit es Untergang oder Aufgang gibt, müsste es oben und unten geben. Oben und unten gibt es nicht, es ist ein Hirngespinst der dummen Sterblichen.
Genauso wie schwarz und weiß, Tod und Leben, Gut und Böse. Selbst die Sterne kennen kein Auf und ab. In unserer Welt, existiert so etwas nicht, also sei bitte nicht sterblich."

Sie nahm einen großen Schluck. Mir fror ums Herz. Für sie war alles so selbstverständlich. Sie fand immer eine passende und richtige Antwort für alles. Wie ich es, genoss ihr zu zuhören. Ich war ihr unterworfen, ich hatte keinen freien Willen, wenn ich bei ihr war. Nun denn, so soll es sein. Für ewig.

Ich beobachtete die hellen Zähne, die aus ihrem weinroten, weichen Mund blitzten und sie gab mir das Glas. Sie legte sich in unser Bett, vergrub sich in meinem Kissen und beobachtete mich eindringlich mit einem Auge.
Ich stellte das Glas wieder ab und legte mich zu nah zu ihr. Ich nahm sie fest in den Arm und flüsterte: "Morbus Amoris".
Im wahrsten Sinne. Ich war ihr verfallen.
Sie war so warm, so weich, so perfekt und ich war so kalt und Unbehagen nagte an mir. Sie kicherte und küsste mich auf meine geschlossenen Augen. "Hab keine Angst, uns ereilt kein sterbliches Schicksal. Wir haben unser Leben in der Hand. Lerne dein Leben ohne Schwermut zu leben."
Ich nickte zustimmend. "Wirst du mir dabei helfen?"
Ich wickelte die Wolldecke fest um uns. Sie antwortete mit einem "Ja" und wir schliefen sofort fest ein.

By Odem