Soma-Sema

(Copyright 2001 by Odem)

Russland im Jahre 1789. Es war die Zeit der französischen Revolution, doch hier, war der Mond aufgegangen und sah aus wie der leibhaftige Frost. Es war sehr kalt und es war die richtige Zeit. Ich machte mich auf den Weg in den Wald. Dies war eine schwierige Zeit für die Tiere im Wald. Die kleineren erfroren in Menge, auch Vögel erlagen dem Frost und die hageren Leichname fielen den Habichten und Wölfen zur Beute. Auch die Wölfe litten an dem furchtbaren Frost und dem Hunger. Es lebten nur wenige Wolfsfamilien dort und die Not trieb sie zu festerem Verband. Am späten Abend zogen sie vollzählig aus und drängten mit heiserem Heulen um die Dörfer. Dort, war Vieh und Geflügel wohlverwahrt und hinter festen Fensterladen lagen Flinten angelegt. Nur selten fiel eine kleine Beute, etwa ein Hund, ihnen zu und drei aus der Schar, waren schon getötet worden. Dem einen ging ein Flintenschuss durch den Hals, der andere wurde mit einem Beil erschlagen. Ein weiterer entkam und rannte so lange, bis er halbtot auf den Schnee fiel.
Doch was tagsüber geschah, entzog sich schon seit Jahrhunderten meiner Kenntnis.
Ich hatte keine Zeit, denn ich war auf der Flucht. Beklommen lauschte ich in die tote Einöde hinaus, bis die Wölfe plötzlich von den grausamen Qualen des Hungers gefoltert, in ein klagendes Heulen ausbrachen. Ich stapfte schnell an ihnen vorbei, immer die Verfolger im Auge. Auch wenn ich nicht genau wusste wer sie waren. Ein kleinerer Teil der Wolfsschar kam mir entgegen und schnoberte erregt und angstvoll an meinen Fingern und meiner Kleidung. Dann trabten sie rasch und gleichmäßig davon. Meine Verfolger wussten was ich war, und machten keinen Hehl aus meiner Jagd. In dieser Gegend, die reich an Städtchen und Dörfern ist, verbreite ich Angst, Schrecken und Scheu. Ein Preis war auf mich gesetzt, das verdoppelte den Mut der törichten Bauern. Das Geschrei und die Schüsse kamen immer näher. Von allen Seiten wurde ich vom dummen Landvolk gejagt. Ich war einer der jüngsten und schönsten meiner Art, ein stolzes Raubtier von mächtiger Kraft und gelenkten Formen. Niemand konnte meinem Leben ein Ende machen außer die Sonne und etwas Feuer. Doch ich hatte Angst. In meinem Kopf drehte sich alles. Ich rannte wie ein Berserker auf ein Haus zu, riss die Tür auf und fand Schutz darin. Ein Beilwurf hatte mich in den Rücken getroffen. Mein heißer, lechzender Atem erfüllte das enge, kalte Haus. Ich sah aus dem Fenster. Erst jetzt wurde mir bewusst wie weit ich gelaufen war. Nirgends waren Menschen oder Häuser zu sehen. Dicht vor mir lag ein mächtiger verschneiter Berg. Ich beschloss, ihn zu umgehen. Ich war wütend und mein Körper brannte, vor Durst. Warum hatte ich sie nicht einfach alle getötet?
Ich verließ das Haus. Jenseits des Berges traf ich sogleich auf ein Dorf. Ich schlich vorsichtig um die Gartenzäune in ein Haus. Die Menschen darin schliefen tief und fest. Nach meinem Besuch schliefen sie für immer.
Frisch gestärkt lief ich auf die Straße. Niemand dort. Ich blinzelte zwischen den Häusern durch. Dann fiel ein Schuss. Ich warf den Kopf in die Höhe und griff zum Laufen aus, als schon ein zweiter Schuss fiel. Ich war getroffen und mit Blut befleckt, das in dicken Tropfen zäh an mir herabrieselte. Dennoch gelang es mir mit großen Sätzen zu entkommen und den nahegelegenen Bergwald zu erreichen. Ich durfte nicht aufgeben. Die Sonne ging noch nicht auf, also hatte ich noch alle Chancen. Ich wartete horchend einen Augenblick und hörte von zwei Seiten Schritte und Stimmen.
Angstvoll blickte ich am Berg empor. Er war steil, bewaldet aber für mich nicht mühselig zu besteigen. Ich musste hinauf. Ich hatte keine Wahl. Mit keuchendem Atem, erklomm ich die steile Bergwand, während sich unten die Bauern zu einem Klumpen versammelten.
Mit Flüchen, Befehlen und Laternenlichtern zogen sie am Fuß des Berges entlang. Zitternd kletterte ich durch den halbdunklen Tannenwald, während aus meiner Seite langsam das braune Blut hinabrann. Ich roch den Morgen, und musste schnell über den Berg. Die Kälte hatte nachgelassen. Der westliche Himmel war dunstig und schien Schneefall zu versprechen. Ich war erschöpft und hatte endlich die Spitze des Berges erreicht. Ich stand nun auf einem leicht geneigten, großen Schneefeld, hoch über dem Dorf, aus dem ich flüchtete. Hunger fühlte ich nicht mehr, aber einen trüben klammernden Schmerz von der Wunde. Ein leises, krankes Gebell kam aus dem naheliegenden Wald. Mein Herz schlug schwer und schmerzhaft und ich fühlte die Hand des Todes wie eine unsäglich schwere Last auf mir liegen. Ich fand Schutz unter einer Tanne und starrte trübsinnig in den hellen Himmel. Ich wusste ich hatte keine Chance mehr mein Haus vor Sonnenaufgang zu erreichen. Eine halbe Stunde verging. Nun fiel ein mattrotes Licht auf den Schnee, sonderbar und weich. Ich erhob mich stöhnend und wandte meinen Kopf dem Licht entgegen. Ich sah den Mond, der im Südosten riesig und schon blutrot war und langsam am Himmel verblasste. Seit vielen Wochen war er nicht mehr so groß gewesen. Traurig hingen meine sterbenden Augen an der Mondscheibe, und wieder hörte ich lautes Gebrüll der Wölfe aus dem Wald. War das mein Abschied? Wussten sie mehr als ich? Da kamen Lichter und Schritte näher. Bauern in dicken Mänteln, Jäger und junge Männer, in Pelzmützen und mit plumpen Stiefeln stapften durch den Schnee. Sie jauchzten. Man hatte mich entdeckt. Zwei Schüsse wurden auf mich abgedrückt, aber beide verfehlten ihr Ziel. Nicht mehr lange und meinem Leiden wurde ein Ende gemacht. Ich hörte schon die Vögel. Die Sonne ließ nicht mehr lange auf sich warten. Das Bauernvolk dachte ich läge im Sterben und sie fielen mit Stöcken und Knüppeln über mich her. Ich fühlte nichts mehr doch ich war am Leben. Plötzlich spürte ich die wärme der Sonne auf meinem Hinterkopf. Die Sonne ging auf. Endlich. Schnell drehte ich mein Gesicht gen Sonne und genoss zum ersten mal seit Jahrhunderten die wärme der Sonne. Erinnerungen an meine längst vergangene Kindheit fluteten mein Gehirn. Ich starb.

By Odem