Für Markus 

(2000 Copyright by JoE)

Ein merkwürdiges Gefühl hatte ich schon. Ohne mich vorgestellt zu habe, allein hier in Nürnberg ohne einen meiner Brüder. Gab es überhaupt Vampire hier in der Stadt? Ich hatte keinen unserer Art bei meiner Ankunft spüren können. Endlich war die Sonne hinter dem Horizont verschwunden. Samtschwarze Dunkelheit legte sich über die Stadt und meine Sinne erwachten. Langsam erhob ich mich, froh darüber diese Hotel in der Nähe des Bahnhofs gefunden zu habe. Klein, verschwiegen, in einer Seitenstraße gelegen und, das war die Hauptsache, mit dicht schließenden Rolläden.

Der Hauptbahnhof, die Altstadt mit Flaggen geschmückt. Grünes, magisches Laserfeuer über der Stadt. Ich war in Jagdlaune. Heute Nacht wollte ich mich dem Vergnügen hingeben, wollte die Lust an der Jagd und am Blut voll auskosten. Ich hatte mich neutral gekleidet, schwarz aber neutral, keiner bestimmten Richtung zugetan.

Mit einem wohligen Seufzer ließ ich mich in die Polster des Taxis sinken.

"Wohin?" der Fahrer schielte in den Rückspiegel. "Dahin wo etwas los ist!" ich lächelte ihn an. Seine Augen weiteten sich als er meine Zähne erblickte. "Wenn Du so drauf bist, dann kommt eigentlich nur ein Laden in Frage" Der Fahrer lachte. "Besonders am Donnerstag."

Grelles Neonlicht stach mir in die Augen. Die Rockfabrik.

"Alles bunt gemischt, auch einige abgedrehte Typen wie Dich gibt es hier." Ich zahlte und verließ den Wagen. Ein, nein mehrere wohlbekannte Echos schwangen in mir. Ah! Ich war nicht allein auf der Jagd. Das würde die Sache interessanter gestalten.

Laute Mainstreammusik aus den Boxen. Schöne junge Frauen in gehobener Stimmung leicht alkoholisiert, ideale Bedingungen für einen gelungenen Abend.

Eine Treppe in das Untergeschoß, schwarze Wände, dunkle Typen. Manowar hämmerte aus den Lautsprechern. Ich fühlte mich gleich wohl und zu Hause. Dunkle, schöne Frauen wiegten sich in dem so typischen Stil auf der Tanzfläche. Entspannt lehnte ich mich an einen Pfeiler und beobachtete das Treiben um mich herum.

In der schwarzen oder okkulten Szene hatte ich mich schon immer sehr wohl gefühlt.

Immer wieder kamen Leute aus dem oberen Stockwerk hinunter und besonders die Frauen betrachtete voller Faszination und mit ein wenig Neid die ausgefallene Kleidung und das Treiben der schwarzen Szene. Ein junges Mädchen, exakt der Typ auf den meine Sinne ansprachen, blickte in meine Richtung. Sie war mir schon seit einigen Minuten aufgefallen. Ihre Faszination und das Leuchten in ihre Augen hoben sie von der Menge ab. Ich mußte sie haben! Lächelnd entblößte ich meine Fänge. Ihre Augen weiteten sich und sie sah mich fragend an. Sie sagte etwas zu mir. Ich deutete auf meine Ohren und schüttelte den Kopf. Sie lachte und deutete auf den Ausgang.

Wir verließen den unteren Bereich und schoben uns durch die Menge an die Bar.

"Was möchtest Du trinken?" Tief blickte ich ihr in die Augen "Champagner?" Sie nickte. Mit dem Glas in der Hand folgte sie mir in einen etwas abgeschiedenen Bereich. "Trinkst Du gar nichts?" fragte sie mich. "Später, meine Freundin." Ich lächelte wieder und ihr Blick hing fasziniert an meinen Fängen. Unwillkürlich mußte ich lachen. Ich dachte an Zeiten zurück, wo mich so eine Verhaltensweise der Verfolgung durch die Leopoldsgesellschaft ausgesetzt hätte. Heute jedoch fühlten sich viele Frauen davon angezogen.

Beinahe sofort waren wir in eine Unterhaltung über Vampire verstrickt. Die Zeit verstricht, längst saßen wir in einer abgeschiedenen Ecke und ich bestellte erneut für sie.

Plötzlich seufzte sie voller Sehnsucht auf. Ich blickte ihr fragend in die Augen und entdeckte ein wohlbekanntes Sehnen in ihnen. Dann wagte ich es einfach. Ich nahm sie in den Arm und zog sie an mich, küßte sie sanft auf den Hals. Ihre Arme umschlangen mich. Beinahe mühelos drangen meine Zähne durch ihre Haut und sie stöhnte voller Behagen als ihr Blut durch meine Kehle rann. Für die anderen um uns herum sah es aus wie eine leidenschaftliche Umarmung. Sie klammerte sich an mich und die Lust am trinken übermannte mich.

Da war sie wieder diese Schwingung, dieses Echo, das untrügliche Zeichen für die Anwesenheit eines anderen Vampirs. Ich blickte auf und sah IHN. Mit glühenden Augen sah er zu uns herüber.

Sanft löste ich mich von ihr, meine Zunge verschloß ihre Wunden am Hals. Wie aus einem Traum erwachte sie und begriff was geschehen war. "Noch einmal! " stöhnte sie. "Bitte noch einmal!" Zärtlich sah ich sie an blickte ihr tief in die Augen und sie vergaß. Sanft setzte ich sie in einen Sessel, sie würde schwach sein aber leben. Ich konnte es mir nicht leisten einen Tote zurückzulassen, auch wenn es vergnüglicher gewesen wäre.

Ich drehte mich um und noch immer stand ER dort und blickte herüber. Lächelnd ging ich zu ihm und deutete eine leichte Verbeugung an. "Was machst Du in meinem Revier?". Mehr scherzhaft als ungehalten kam die Frage. Sympathie überkam mich und ich mußte lächeln. Welch bessere Tarnung konnte es geben, als sich so zu geben. Ein Bilderbuchvampir stand vor mir. Lange schwarze Haare, von einer silbernen Spange zu einem Zopf gehalten, rotes Rüschenhemd, spitze Schnallenschuhe. Das Gesicht kunstvoll gepudert und geschminkt. Ein langer schwarzer Umhang umwehte ihn. Phantastische Ringe und lange, schwarze Fingernägel schmückten seine Hände.

"Verzeih!" Ich lächelte ihn an." Ich bin zu Gast in dieser Stadt und wenn es denn gestattet ist, so möchte ich um Gastfreundschaft für eine Nacht bitten."

Mein Gegenüber lächelte zurück. Eine Welle der Verbundenheit überflutete mich, ein Gefühl der Gemeinsamkeit wie ich es lange nicht mehr gespürt hatte.

Ja, ich hatte ein verwandtes Wesen getroffen.

Plaudernd bahnten wir uns unseren Weg durch die Menge. Verwunderte Blicke trafen meine neuen Freund. Lächelnd genoß ich jeden Augenblick. Solche Momente waren die Höhepunkte meines Daseins.

"Wenn ich gewußt hätte, daß heute Fasching ist, hätte ich mich auch verkleidet!" Ein junger Mann an der Bar hatte provokativ diese Worte gesprochen.

"Fasching?!" Der todernste Blick meines Jagdgenossen traf den Provokateur. Stahlhart sein Blick. Der Typ an der Bar blickte mich fragend an und ich entblößte grinsend meine Fänge. Unsicherheit, so etwas wie eine Ahnung und leichtes Entsetzen zog über sein Gesicht. Lachend wandten wir uns ab.

Was für eine Nacht! Es geht doch nichts über eine Jagd zu zweit. Rasend verging die Zeit, wie im Flug zog die Nacht an uns vorbei.


Morgendämmerung.

Mit einer festen Umarmung verabschiedete ich mich.

Ich würde die Tage zählen, bis zu unserem nächsten Wiedersehen. Mit dem Hochgefühl einen neuen Freund gefunden zu haben verließ ich die Stadt.

In Freundschaft, Juli 2000

JoE