Brief an einen Freund!

(2000 Copyright by Clarimonde)

Lieber Freund!

Ich habe da eine kleine Story zum Besten zu geben, die Dir sicherlich
gefallen wird; besonders in Hinsicht auf die jüngsten Ereignisse, Du weißt
schon wo. Das ist das Tolle daran, wenn man noch keine fünfzig Jahre lang Vampir
ist, man kann sich über derlei Kleinigkeiten noch köstlich amüsieren. Ich
für meinen Teil gedenke diesen Umstand so gründlich wie möglich
auszunutzen, bis ich so verknöchere wie die Alten.

Ich habe nämlich kürzlich wieder den Weg eines selbsternannten Jägers
gekreuzt. Diese Typen sind aber auch zu putzig. Dieser hier, um den es
geht, war noch nicht sehr alt, ich schätze ihn auf fünfundzwanzig. Es war einer von
der Sorte, die den hochintelligenten Klassendeppen geben. Weißt schon,
die, die nie auf Parties eingeladen werden, außer als unterhaltsamer Idiot.
Solche brauchen immer ein "höheres Ziel", und oft verrennen sie sich
dementsprechend. Als ich noch lebte, war ich selber eine von der Fraktion.
Ich hatte mich damit arrangiert, aber jetzt als Unsterbliche ist das Leben doch
weitaus unterhaltsamer. Wie auch immer, ich stieß durch Zufall auf "meinen"
Vampir-Weidmann. Ich war gerade ein bißchen melancholisch drauf und
stattete dem Alten Friedhof einen Besuch ab. Und da sah ich ihn hinter einem Grabstein
kauern und verbissen vor sich hinfrieren, während er grimmig im Geiste die
Schlüsselstellen aus "Dracula" durchging - vermutlich zum sechzigsten
Male. Was für eine nette Überraschung. Das versprach eine Menge guter Unterhaltung. Mein
Entschluß stand ziemlich schnell fest. Amüsiert beobachtete ich noch ein
paar Stunden, wie er gegen das Einschlafen ankämpfte, schließlich zog ich
mich bis auf die Unterwäsche aus (diese Freaks erwarten ja immer möglichst
wenig Bekleidung an uns weiblichen Blutsaugern) und ließ mich kurz blicken. Das
genügte. Er fuhr dermaßen auf, daß er fast seine Grabtafel umgeschmissen
hätte. Zischend markierte ich einen Abgang in die nächstbeste Gruft, von
wo aus ich kichernd den Heimweg antrat.

Gegen halb zwölf traf ich am nächsten Abend auf dem Friedhof seiner Wahl
ein. Von ihm unbemerkt (ich glaube, wenn ich als Schlumpf kostümiert
gewesen und auf einem Einrad den Baby-Elephant-Walk trompetend vor ihm auf und ab
paradiert wäre, hätte er mich nicht registriert, so sehr war er auf
gruselige Untote konzentriert) positionierte ich mich pflichtbewußt in der
malerischen alten Gruft. Wie erwartet hatte er deren Eingang rundum mit zerbröselter
Hostie versehen. Wie im Buche.

Er war offensichtlich schon seit längerem hier, und seine riechbare
Nervosität stieg, umso mehr sich der kleine Zeiger der Zwölf näherte. Wie
ich hatte auch er sich bühnenreif kostümiert, so mit schwarzem Schlapphut
und ausgebeulter Ledertasche. Ich konnte mich jetzt schon kaum mehr
beherrschen vor Heiterkeit.

Schön pünktlich um Mitternacht machte ich mich daran, die halb verfallene
Sandsteingruft zu verlassen. Ich kam mir vor wie zum Tee bei Christopher
Lee und Peter Cushing. Und da stand er - mein kleiner tapferer Zinnsoldat.
Geschockt durch die Es-ist-alles-wahr-Erkenntnis, die in derlei Fällen
einzutreten pflegt, konnte er erst mal keinen Finger rühren. Fast hätte
ich gegrinst - offensichtlich hatte ich seine sämtlichen Erwartungen erfüllt. In seiner
Aufregung fiel ihm gar nicht ein zu bemerken, daß ich perfekt frisiert war
und mir auch beim Auftragen eines kinoreifen Vampirschlampen-Makeups alle
Mühe gegeben hatte. Andererseits ist das ja sowieso einer der beständigsten und
häufigsten Charakterzüge sterblicher Männer - die merken einfach keinen
Unterschied, wenn man seinen neu erstandenen (sauteuren) Lippenstift
ausprobiert. Nicht mal, wenn die Süße plötzlich nicht mehr braune, sondern
rote Haare hat, fällt ihnen das auf. Der Trick mit der Haarfarbe klappt überhaupt nur
bei Blond.

Ich holte also meine sämtlichen "Dracula"-Kenntnisse aus der Schublade und
gab meine beste Lucy. Mit rollenden Augen, gespreizten Fingernägeln und
tiefem Dekolleté sprang ich geifernd auf ihn zu. Dabei kreischte ich
möglichst irre, um mein Lachen irgendwie zu kaschieren. Aber es wirkte. Er erschrak
wie eine Nonne im Swingerclub und riß instinktiv seine Mitbringsel - einen
Holzpflock und ein silbernes Kreuz; ich hasse Klischees und hätte kotzen
können über diese Einfallslosigkeit - in die Höhe. Da sein Plan nur allzu leicht
zu durchschauen war, tat ich genau das, was er von mir wollte - mit vollem
Karacho spießte ich mich selber auf seinen Hühnchenbrater, um dann mit
effektvollem Gurgeln und Stöhnen, nicht zu vergessen einem ordentlichen
Schwall schwarzer Flüssigkeit aus dem Mund, theatralisch zu Boden zu sinken. Dort
angekommen zuckte ich noch ein bißchen rum, um schließlich sämtliche
Muskeln erschlaffen zu lassen und darauf zu warten, daß das geschah, was in
Horrorfilmen immer geschieht und das also auch mein kleiner Nachwuchs-van Helsing tun
würde. Regungslos lauschte ich seinem hyperventilierendem Japsen, das
direkt an der Schwelle zur Panikattacke balancierte. Mann, wenn er jetzt die
Krise kriegen und abhauen würde, hätte ich dieses schicke durchsichtige Negligé
ganz für umme ruiniert. Ich ließ also noch ein wenig Nebel aus den
Körperöffnungen aufsteigen, um ihn davon zu überzeugen, daß es kein Mensch
gewesen war, den er da eben umgelegt hatte. Es funktionierte. Tatsächlich kam er
zögerlich näher, offensichtlich in der Erwartung, einer spektakulären
grünschleimigen Auflösung beizuwohnen. Und er gab noch einen Bonus: Auf
die Knie sinkend beugte er sich über mich, wahrscheinlich wollte er wissen, ob "erlöste"
Vampirfrauen wirklich so spitze aussahen wie Bram es beschreibt. Er
brachte sein schweißüberzogenes Gesichtchen ganz nahe an das meine heran. Ich weiß
schon, was Du denkst, was jetzt geschah. Pustekuchen. Ich legte nur ganz sachte,
so daß er es nicht mal bemerkte, meine Arme um ihn. Als er wieder
aufstehen wollte und bemerkte, daß es nicht hinhaute und schließlich den Grund dafür
erkannte, ließ er erst mal einen kräftigen Strahl Brauchwasser ab. Egal,
das Nachthemd, das ich trug, war eh nicht mehr zu retten. Ich hob die Lider
und grinste ihm unverschämt direkt in die schreckgeweiteten Augen.
Finale!
Daraufhin schlug ich ihm meine Zähne in den Hals und tankte erst mal auf.
Und soll ich Dir was erzählen? Es gefiel ihm! Er bekam doch tatsächlich eine Beule
in der nassen Hose! Ich hätte mich totlachen können! Kurz bevor er den Abgang
probte, hinterließ er der Welt noch eine beachtliche Portion Vermächtnis.
Wahrscheinlich glaubte er auch noch an Flugbestäubung.

Nachdem er dann schlußendlich doch noch nachgab (die Angst hatte ihn, wie
es so schön heißt, beflügelt, so daß es seine Zeit dauerte, bis er endlich
beschloß zu sterben), setzte ich mich auf, legte den Kopf in den Nacken
und lachte erst mal, bis ich keine Luft mehr bekam. Was für ein netter Abend.
Ich schwöre, ihm hat es auch Spaß gemacht. Ich lachte immer noch, als er
sich wieder zu regen begann. Und am meisten lachte ich, als er schnallte, was
Sache war.

Man kriegt im Leben - und auch danach - eben immer das, was man sich tief
im alleruntersten Unterbewußtsein wünscht. Momentan zum Beispiel sitzt er
im Keller und poliert verschimmelte Reitstiefel mit dem zerfledderten Kadaver
seines Abendessens. Was soll ich da noch anfügen? Er ist endlich
glücklich. Naja, ich denke, daß er´s sowieso nicht lange machen wird. Er hat nicht
dieses Skrupellosigkeitspotential, das Voraussetzung ist für eine ewige
Existenz und das man zu Lebzeiten oft gar nicht bemerkt. Ehrlich, nehmen wir mal
Ceaucescu (mein Lieblingsvergleich) - er hätte entgegen aller menschlicher
Ansicht einen miserablen Vampir abgegeben. Er war einfach nur krank, nicht
beseelt von dieser exquisiten Bosheit.

Mein kleiner Renfield wird, eher früher denn später, den Löffel abgeben.
Viel zu vorurteilsbelastet, der Gute. Entweder wird er aus Angst vor dem
Sonnenaufgang, einem Kranz Knoblauch oder einem Schluck Weihwasser (das
einzig Gefährliche an letzterem ist übrigens die hohe Krankheitserregerkonzentration
darin - freilich kann uns das nicht viel anhaben) krepieren. Das
"unsterbliche" Pendant zum Herzinfarkt. Die Menschen weigern sich einfach,
das Offensichtliche zu akzeptieren, nämlich daß der Grund für alles ihre
eigenen Erwartungen sind. Oder er dreht durch und meint, die legendären "echten"
Vampire kopieren zu müssen. Ich meine Léger oder Haarmann oder Landru. Solange bis
sie ihn einfangen und, was weiß ich, wegsperren, bis er verdurstet ist,
oder ihn gleich grillen. Je nachdem, wo er sich erwischen läßt. Bis dahin kann
er aber ruhig noch ein bißchen mein Haus auf Vordermann bringen. Als nächstes
werde ich ihm wohl vorschlagen, den Kompost umzustechen. Das wird ihm
gefallen.

Schwer am Planen, Deine

Antoinette