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Der Gottvampir (Zweiter Teil der Serie 'Das Rote Palais')) Autorin: Helene Henke Copyright 2009 by Sieben-Verlag Ltd., Fischbachtal Erstausgabe 2009 Verlag: Sieben-Verlag Ltd., Fischbachtal ISBN-13: 978-3940235831 ISBN-10: 3940235830 *
* Man nennt ihn Bragi – der Name des altgermanischen Gottes der Dichtkunst. Und tatsächlich scheint er mehr zu sein als ein Vampir. Der exzentrische Rockstar versteht es mit seiner Musik Menschen und Vampire gleichermaßen zu begeistern. Ob sein Auftauchen in Krinfelde etwas mit dem neuesten Fall von Privatdetektivin Leyla Barth zu tun hat, bleibt abzuwarten. Fest steht, dass Thetania e. V. weiterhin seiner Geschäfte nachgeht, ungeachtet dessen, dass Leyla und der Meistervampir Rudger von Hallen schon einmal der Sekte in ihr nicht immer blütenreines Handwerk gepfuscht haben. Nicht nur das, Thetania expandiert. Neben Schönheitsoperationen finden sie einen Weg, das Geheimnis des ewigen Lebens zu erforschen, was dazu führt, das nicht immer Menschen die Opfer sind, sondern auch Vampire. Doch ein Unglück kommt selten allein. Die geheimnisvolle Vampirin Iduna erscheint auf der Bildfläche und wirft einen Schatten auf die junge Beziehung zwischen Leyla und Rudger. * Leseprobe: Kapitel 6 Nach jedem Konzert verlangte es Bragi nach einer
Dusche. Er stand vor dem Spiegel und rieb das Handtuch mit bedächtigen
Bewegungen über sein Gesicht. Dabei ließ er sich Zeit. Es bestand kein
Grund zur Eile, weil seine Fans trotz später Stunde geduldig auf warten
würden, in der Hoffnung, ein Autogramm zu ergattern. Manchmal kehrte er
überhaupt nicht zurück, weil ihm danach war, eine Frau mit auf sein
Zimmer zu nehmen. Doch selbst wenn er erst am nächsten Abend wieder
sein Hotel verlassen würde, verharrten einige von ihnen hartnäckig auf
der Straße. Einfältige Menschen. Sie begriffen nicht, dass er bei Tag
nicht erscheinen würde. Er strich sein glänzendes, schwarzes Haar nach
hinten. Dabei fuhren seine Finger über die hohen Wangenknochen. Seine
Haut fühlte sich fest und glatt an, selbst dort wo sein Bart wuchs. Er
konnte Stunden damit zubringen, sein Spiegelbild zu bewundern. Der
perfekte Schwung seiner Brauen faszinierte ihn stets aufs Neue. Zu
seiner Zeit als Sterblicher, hatte Eitelkeit als Sünde gegolten. Doch
nun lebte er in einer Welt, die überquoll vor Menschen, die sich Schönheit
und Jugend zum höchsten Gut erkoren hatten. Er hätte es nicht besser
treffen können und war dankbar für seine Unsterblichkeit. Noch
dankbarer war er für seine neuerworbene Fähigkeit, endlich wieder sein
Antlitz betrachten zu können. Das Dasein als Vampir hatte durchaus Vorzüge,
auch wenn man sich erst nach Jahrhunderten daran gewöhnte. Es dauerte
seine Zeit, bis man diesen jämmerlichen Rest von Menschlichkeit aus
seinem Innern verbannt hatte und endlich zu dem wurde, was man war.
Jedoch der Verzicht, sich selbst betrachten zu können, war ihm unerträglich
geblieben. Welch erhebendes Gefühl es war, als er sich zum ersten Mal
dabei beobachten konnte, wie er ein Opfer vor dem Spiegel riss. Der
Rausch war in seinem Kopf explodiert, als er nicht nur fühlte, sondern
sah wie sich seine messerscharfen Reißzähne in den Hals des Mädchens
bohrten. Nie zuvor konnte er gleichzeitig in die angstgeweiteten Augen
seines Opfers blicken, während seine Fänge mit Leichtigkeit Haut,
Muskeln und Knorpel durchtrennten. Wie sehr hatte er vermisst, sein
Antlitz im Spiegel länger zu betrachten, als in den wenigen Minuten des
Zwielichts. Das schillernde Lichtspektakel, das sich ihm aufgrund der
vampirischen Aura ansonsten im Spiegel bot, empfand er als schwachen
Trost. Erst seit er diese jämmerliche Gestalt in seinem Körper
duldete, konnte er sich wieder solange betrachten, wie es ihm gefiel. Seine tiefbraunen Augen blickten ihm entgegen. Wie
große Mandeln hatten sie die perfekte Form und strahlten, wenn er es
wollte. Er sah sich zufrieden lächeln, und hätte das Aufflammen in
seinem Blick beinahe übersehen. Mit geweiteten Augen beugte er sich
vor. Langsam wurde das satte Braun von einem wässrigen, hellblauen Ton
überzogen, bis er in die glanzlosen Augen des anderen blickte. Seine Hände
umschlossen fest den Beckenrand. Er spürte mehr als dass er sah, wie
sich seine Lippen aufeinander pressten. „Verzieh dich Bragi!“,
presste er hervor. Seine Stimme hallte in dem gekachelten Bad wider.
„Hast du es noch immer nicht kapiert? Mach, dass du weg kommst, sonst
zerfleische ich heute Nacht mindestens drei Groupies.“ Ein klagendes Jaulen entrang seiner Kehle. Wie er
dieses Geräusch verabscheute. Seine Gesichtszüge verzerrten sich,
zerstörten das perfekte Antlitz. Unbändiger Zorn stieg in ihm auf. Mit
voller Wucht traf seine Faust auf den Spiegel, der zerbarst. Scherben
flogen durch den Raum. Das Jammern verebbte und wich zurück in die
Tiefen seiner unsterblichen Seele. „Geht doch.“ Selbstzufrieden grinste er sich in einer übriggebliebenen
Spiegelscherbe zu. Das wirkte immer. Allein die Androhung einen Menschen
zu töten, ließ diesen einst mächtigen Gott in sich zusammenschrumpfen
wie eine halberschlagene Spinne. Seit zweihundert Jahren teilte er seinen Körper
mit einem altgermanischen Gott. Dass die Götter einst die Menschen zu
ihrer eigenen Unterhaltung geschaffen hatten war lachhaft. Ebenso wie
sie ihre schwächlichen Sterblichen hätschelten und verwöhnten wie
Schoßhündchen. Verziehen ihnen jede Schandtat, und holten sie sogar
nach Asgard, wenn sie als Helden auf ihren Schlachtfeldern gefallen
waren. Ausnahmslos waren sich die Götter einig, selbst als ihre
Menschen sich immer mehr verselbstständigten. Den lächerlichen Zwang
der Menschen, alles erforschen zu wollen, sahen sie nicht als Gefahr.
Mit nachsichtigem Stolz ließen sie die Menschen gewähren, und merkten
nicht, dass sie damit ihren eigenen Untergang besiegelten. Denn die
Menschen hörten irgendwann auf, an Götter zu glauben. Anstatt Midgard,
die Menschenwelt, zusammen mit ihren minderen Bewohnern zu zerstören,
beschlossen die Götter, hinab zu fahren, wenn ihnen nach der
Gesellschaft mit ihren Schützlingen zumute war. Da die Götter in der
Menschenwelt über keinen physischen Körper verfügten, liehen sie sich
bei ihren Besuchen unbedacht menschliche Körper. Doch zu ihrem
Entsetzen, waren ihre einst so zähen Geschöpfe mit einem Mal
zerbrechlich. Sie starben nach kurzer Zeit, wenn sich einer der Götter
ihrer bemächtigt hatte. Ihre vergänglichen Hüllen vermochten nicht
die übermächtige Gestalt der Götter zu beherbergen. Sie zerbrachen
wie schöne Gläser, in die man zu heißes Wasser füllte; dazu bedurfte
es zinnene Krüge. Zu gern hätte Bragi gewusst, welcher dieser törichten
Götter auf die Idee gekommen war, dass die Körper von Vampiren stark
genug waren, einen Gott zu beherbergen. Vampire waren die Geschöpfe von
Hel, Göttin der Unterwelt. Aus ihrem Zorn geboren, weil die Götter es
gewagt hatten, darüber zu entscheiden, wer von ihren hochgelobten
Menschlein an der Pforte zum Totenreich kehrt machen durfte und wer
nicht. Damit erzürnten sie die gute Hel, und sie wählte die Stärksten
ihrer Verdammten, um sie zurückzuschicken. Sie gab ihnen sowohl das
ewige Leben als auch die unbändige Lust nach menschlichem Blut mit auf
den Weg. Im angrenzenden Umkleideraum stieg er in seine
Jeans. Locker schloss er den Gürtel um seine Hüften und zog den Bund
noch etwas tiefer, bis er mit dem Ansatz der Schambehaarung abschloss.
Sein Hinterteil formte sich schmeichelnd unter dem Stoff, wie der gegenüberliegende
Spiegel zeigte. Die Götter in Asgard vermochten es nicht zu
verhindern, dass die Menschen taten was sie immer taten. Sie töteten
und wurden getötet. Die Vampire blieben unter ihnen. Als Wesen der
Nacht nahmen sie die dunkle Seite des irdischen Daseins in Besitz.
Irgendwann hörten die Menschen auch damit auf, gegen Vampire zu kämpfen
und beschlossen, sie zu einem Mythos zu erklären. Das machten sie gern,
die Menschen. Bragi entfuhr ein höhnisches Schnaufen, als er ins
Badezimmer zurückging. In den letzten Jahrhunderten hatte er oft
erlebt, wie Menschen beim Anblick eines überwältigten Vampirs
unaufhaltsam nach einer Erklärung suchten. Statt der Wahrheit ins Auge
zu blicken und die Existenz von Vampiren zu akzeptieren, erfanden sie
zahlreiche amüsante Ausflüchte, von Blutkrankheiten bis Wahnsinn. Mit fortschreitender Technisierung der Menschenwelt
wuchsen die schillerndsten Definitionen für das Unerklärliche.
Mittlerweile hatten sie zumindest gelernt, dass sie nicht allein auf der
Welt waren. Sie versuchten sogar Regeln aufzustellen. Ein kläglicher
Versuch, sich den Vampir untertan machen zu wollen, ihn ihren Gesetzen
zu unterwerfen. Aber das interessierte ihn nicht besonders. Mit einem gezielten Griff zog er ein Hemd aus dem
Stapel, streifte es über und machte sich daran, nur die mittleren Knöpfe
zu schließen, damit noch genug nackte Haut sichtbar blieb. Er hatte
seinen persönlichen Kampf gewonnen, und den göttlichen Mitbewohner in
seine Schranken verwiesen wie einen Flaschengeist. Der Kampf hatte ein
paar Jahrzehnte gedauert. In dieser Zeit hatte er andere Vampire
getroffen, in deren Körper zwei Persönlichkeiten wohnten. Immer hatten
sie sich damit abgefunden und sich der Macht des Gottes in ihnen
gebeugt. Der Vampir-Bragi war dazu nicht bereit. Er hatte Glück,
denn er fand heraus, dass der Gott-Bragi zwar ein hohes Ansehen im
stolzen Kreis der Asen genossen hatte, aber kein Freund von Waffengetümmel
und Kampf war. Er verfügte über die Gabe der Dichtkunst, des Gesangs
und der Beredsamkeit. Er war ein Poet und schwach genug, um an der
blutigen Leidenschaft seines vampirischen Wirtkörpers nach und nach zu
zerbrechen. Je mehr Mädchen er schändete und aussaugte, desto
weiter zog sich dieser jammervolle Sohn des Odin zurück. Nun war kaum
noch etwas von seiner göttlichen Kraft übrig, außer der lenkbaren
Gabe des Gesangs. Sobald er auf der Bühne stand und eine Note
anstimmte, konnte er den Poetengott beschwören und sich seiner göttlichen
Gabe bedienen. Er war nun Bragi der Vampir mit einer wahrhaft göttlichen
Stimme. Ein auf der ganzen Welt umjubelter Rockstar. Wenn sein göttlicher
Mitbewohner doch noch hin und wieder aufbegehrte, konnte er ihn schnell
wieder in seine Schranken weisen, indem er sein nächstes Opfer mit
besonderer Grausamkeit tötete. Zufrieden betrachtete er seine wieder entspannten
Gesichtszüge. Die Gottheit hatte sich zurückgezogen. Geblieben waren
lediglich der Name Bragi, und diese unbestimmte Sehnsucht, die diesen
Gott in ihm so schwach machte. Bragi schloss die Augen bei dem Gedanken
an das berauschende Gefühl, das ihn überkam, wenn er auf der Bühne
stand und sang. Für diese Momente ließ er seinen Dschinn heraus und
gab sich voll diesen intensiven Empfindungen hin, mit dessen Kraft er
zauberhafte Klänge schaffen konnte. Es war die Kraft der einzigartigen
Liebe. Eine Frau, die der Gott-Bragi auf Erden gesucht und
nie gefunden hatte. Er konnte es fühlen, das Herzblut des Poeten, und
wusste, dass diese Frau nichts gemein hatte, mit den zahlreichen Dirnen
und halbwüchsigen Mädchen, die den Rockstar umgaben. Vielleicht war
das auch einer der Gründe, dass der Vampir den Gott bezwang. Aber er
wollte das nicht weiter analysieren. Hauptsache war, Bragi gab Ruhe und
stand nicht seiner Karriere im Weg. Sollte er doch in seinem Liebesleid
ersticken. Ihn scherte das nicht, denn die ganze Welt könnte ihm bald
zu Füßen liegen und er hatte nicht vor, sich aufhalten zu lassen. Er stupste die letzte Scherbe aus dem Goldrahmen.
Sie zerschellte klirrend im Marmorwaschbecken. Der Hofgarten war das
teuerste Hotel in Krinfelde und nicht das erste, in dem Bragi einen
Sachschaden hinterließ. Man war daran gewöhnt, dass dekadente
Rockstars Möbel und Fenster zerstörten. Seine Manager würden sich
darum kümmern. Sie kamen in Scharen, um in seiner Nähe zu sein,
hielten ihm alles mögliche Beschreibbare hin, damit er sein Autogramm
darauf setzen konnte. Gelangweilt setzte er seine kaum leserliche
Unterschrift auf die dargereichten Karten, CDs, T-Shirts und was noch
alles. Ein vielleicht fünfzehnjähriges Mädchen, drängte sich in den
Vordergrund und bot ihm ihren nackten Bauch an. „Schreib es mit Blut“, forderte sie. Bragi stutzte und blickte der Kindfrau in die
schwarz umrandeten Augen. Eine kleine Kennerin. Wären sie in einer
anderen Lokation, hätte er nicht gezögert, ihr vor alle Augen mit
seinem scharfen Fingernagel den Namen in die zarte Haut zu ritzen. Doch
er befand sich im Roten Palais, und Rudger von Hallen hatte seine
Bedingungen genannt. Diese Auflagen schränkten ihn zwar nicht so ein,
wie er es von kommerziellen, menschlichen Veranstaltungsorten gewohnt
war, schlossen aber dennoch Blutvergießen in jeglicher Form aus. Zwar
passte ihm das nicht so ganz, doch er wollte sich auch nicht mit dem
Meister der Stadt anlegen. Der galt als mächtig und hatte sein Gebiet
fest im Griff. Außerdem verfügte Rudger über Beziehungen zu
zahlreichen anderen Meistervampiren in Europa, sodass Ärger mit ihm
zumindest Unannehmlichkeiten mit sich ziehen würde. Das war ihm zu lästig.
Für ein paar Tage konnte er sich zusammenreißen. In der nächsten
Stadt würde er dann wieder nach eigenen Vorstellungen agieren. „Ein anderes Mal“, raunte er dem Mädchen zu,
und zog mit einem Filzstift seinen Namenszug über die weiße Haut. Er riss seinen Blick von dem schwarz geschminkten
Schmollmund los und beobachtete eine Frau am Ende des Ganges. Sie
unterhielt sich mit einem Angestellten. Nach dem Konzert hatte er sie an
der Seite seines Gastgebers gesehen. Es musste die Auserwählte des
Meistervampirs sein. Die Totenwächterin. Das pfiffen die Spatzen von
den Dächern. Eine Sterbliche hatte das Herz des Vampirs erobert. Man
sah es in seinen Augen. Obwohl es vor Leuten gewimmelt hatte, schienen
die beiden von einem unsichtbaren Kokon umgeben gewesen zu sein.
Vollkommen in ihrer Zweisamkeit. Tief in Bragi regte sich sein verbannter Gott und
sandte eine warme Salve durch seinen Körper. Er spürte ein Gefühl in
sich aufsteigen, dessen Bedeutung er längst vergessen hatte. Seine
innewohnende Persönlichkeit hatte gewagt aufzubegehren und versuchte,
es hinauszuschreien. Bragis Geist füllte sich mit den Gedanken des
anderen. Seine Haut prickelte, als sich das Wort in seinem Kopf formte:
Liebe. Bedingungslos in ihrer reinsten Form. Das Gefühl ekelte ihn an. Er musste etwas
unternehmen. Für einen Moment schloss er die Augen. Entfernt hörte er
seine Fans entzückt aufkreischen. Offenbar hielten sie sein Verhalten für
eine besondere Form der Aufmerksamkeit. Einfältiges Pack. Es war der ständige,
müßige Kampf, den er gegen diesen Gott Bragi führte, um diesen erneut
in seine Schranken zu weisen. Mit einem Seitenblick sah Leyla, wie Bragi mit der
Hand eine bestimmende Geste vollzog. Auf der Stelle zogen seine Fans die
dargereichten Autogrammkarten zurück. Einige von ihnen senkten sogar
demütig den Kopf und traten beiseite. Mit geübter Eleganz schritt er
durch die Schneise, die sie für ihn bildeten. Seine Augen waren
unmittelbar auf ihre gerichtet, als würde er sie in sein Beuteschema
einordnen. Nachdem Rudger nach Belgien gefahren war, hatte sie
beschlossen, sich Bragis Umfeld etwas näher anzusehen. Rudger in der Nähe
zu wissen, wäre zweifelsohne beruhigender gewesen. Zumal der Rockstar
eine unterschwellige Gefahr ausstrahlte, die ihre Nervenenden erzittern
ließen und sie in Alarmbereitschaft versetzten. Anderseits war sie es
gewohnt bei Ermittlungen auf sich selbst gestellt zu sein. Bragis Blick
schoss über den Gang und haftete sich mit einem wissenden Ausdruck auf
Leyla. Sein Haar schimmerte unter der Deckenbeleuchtung pechschwarz wie
das Gefieder einer Krähe. Dunkelbraune Augen in dem ebenmäßigen
bleichen Gesicht, bildeten einen scharfen Kontrast zu seinem bleichen
Teint. Keine einzige Hautunebenheit war zu erkennen. Seine Hand streckte
sich ihr zum Gruß entgegen und wirkte wie gemeißelt. Schwarz lackierte
Fingernägel unterbrachen die Blässe. „Leyla Barth, die Walakuzjæ, es ist mir eine
Ehre.“ Seine Sprechstimme war ebenso tief wie sein Gesang
und passte nicht zu seiner jugendlichen Ausstrahlung. Sie ergriff seine
Hand und erwiderte den festen Händedruck. Eine leichte Gänsehaut überzog
ihren Rücken und ließ seine erotische Wirkung auf Frauen erahnen. Aus
der Nähe betrachtet wirkte seine gerade Nase einen Hauch zu lang. Die
geschwungenen Lippen mochten zu Lebzeiten rosig gewesen sein. „Schön, Sie kennenzulernen. Es trifft sich gut,
dass wir uns hier treffen, denn ich hätte Ihnen gern ein paar Fragen
gestellt.“ „Ich stehe Ihnen selbstverständlich zur Verfügung
Ma’am. Womit fangen wir an?“ „Vielleicht damit, dass Sie zunächst mal meine
Hand loslassen.“ „Verzeihen Sie, dabei ist es gar nicht meine Art,
Leute zu berühren.“ Ein jungenhaftes Lächeln erschien auf seinem
Gesicht und strafte seine Worte Lügen. Hinter ihm erklang das
verhaltene Jauchzen einiger junger Mädchen. „In Rudgers Büro können wir uns ungestört
unterhalten“, schlug sie vor. Bragi nickte und folgte Leyla. Hinter ihnen
kreischten seine Fans. Das Büro befand sich auf derselben Ebene wie das
Rote Palais und war ein umfunktionierter Kinosaal. Die Etage des
Vampirbereichs war mit denselben Räumlichkeiten ausgestattet, wie die
beiden unteren Kinoebenen des Aurodom. Bisher hatte sie nur im
Vorbeigehen einen Blick dort hinein geworfen. Bevor ihre Hand die Türklinke
erreichte, griff Bragi an ihr vorbei und öffnete die schwere Eichentür.
Mit einer galanten Verbeugung ließ er ihr den Vortritt. „Der Meistervampir ist sich Ihrer sehr sicher. Er
lässt Sie mit mir allein.“ Bragi sprach ohne sich zu ihr umzudrehen. „Ich kann auf mich aufpassen“, entgegnete Leyla
abwesend und blickte sich im Raum um. Sie kannte Rudgers Penthouse mit seinen
wundervollen Antiquitäten. Doch die Einrichtung seines Büros war
umwerfend. Die erlesene Einrichtung und die mit Mahagoni getäfelten Wände,
ließen den fensterlosen Raum wie aus einer anderen Zeit wirken.
Zahlreiche Bücherregale waren als Raumteiler aufgestellt und verloren
sich in der Dunkelheit des weiträumigen Saals. Einige Bücher mit
ledernem, altmodischem Einband, lagen auf dem massiven Schreibtisch
gestapelt. Ihre Rücken völlig staubfrei. Leyla konnte nicht alle Titel
entziffern, da es sich um mehrere Sprachen handelte. Viele wiesen
fremdartige Symbole auf und wirkten wie Zauberbücher. In einer schwach
beleuchteten Ecke stand eine lederne Sitzkombination vor einem überdimensionalen,
reich verzierten Kamin. Wenn sie sich richtig erinnerte, war es die
Stelle, an denen sich in den Sälen die Leinwände befanden. Der Raum
strahlte trotz seiner Größe Behaglichkeit und Wärme aus. Wie ein Platzhirsch im neuen Revier hatte Bragi
sich auf Rudgers Sessel hinter dem Schreibtisch niedergelassen. Seine
Ellenbogen angewinkelt, faltete er seine Hände wie zum Gebet. Die
langen Zeigefinger lagen aufrecht einander und tippten gegen sein Kinn.
Leyla bemerkte seine weiblich anmutenden Wimpern, als sie sich auf den
gegenüberliegenden Platz setzte. „Die Polizei untersucht den Mordfall an zwei
jungen Mädchen. Der Zustand der Leichen lässt auf ein eher bizarres
Motiv schließen, nicht zuletzt aufgrund der identischen Tätowierungen
an ihren Körpern. Es besteht die Möglichkeit, dass es sich bei den
Toten um Gothics handelt, also Mitglieder einer jugendlichen Subkultur,
in deren Kreisen besonders Ihre Musik großen Anklang findet. Können
Sie mir dazu etwas sagen?“ „Bizarr“, wiederholte er, als würde ihm das
Wort besonders gut gefallen. „Ich dachte, Sie arbeiten in
Vampirangelegenheiten?“ „Beantworten Sie einfach meine Fragen, Bragi.
Umso schneller sind wir fertig. Wo waren Sie gestern Nacht?“ „Sie verdächtigen mich, weil ich neu in der
Stadt bin.“ Tiefschwarze Augenbrauen hoben sich langsam. „Ich
hinterlasse keine Leichen.“ Das war deutlich. Dann gehörte Bragi zu den
Vampiren, die sich selbstverständlich an Menschen nährten und keine
Spuren hinterließen. Abgesehen davon war ein Schussopfer nicht die
Handschrift eines Vampirs. Es lag auch nicht in ihrer Macht, einen
Vampir für sein Fehlverhalten zur Verantwortung zu ziehen. Schon gar
nicht, wenn er damit hausieren ging. Für derartige Regelverstöße war
der Meistervampir zuständig. Wenn sie ihn auf frischer Tat ertappen würde,
könnte sie ihn auf der Stelle vernichten. Da dem im Moment nicht so
war, beschloss sie, seine provozierende Äußerung zu ignorieren. „Ich wiederhole, wo waren Sie gestern Nacht?“ „Ich hatte einen Auftritt, dafür gibt es genug
Zeugen.“ Sein gelangweilter Tonfall, passte zu seiner selbstgefälligen
Miene. „Ich kann mir gut vorstellen, dass es Ihnen nicht
an Zeugen mangelt. Ihre Bandmitglieder halten vermutlich treu zu
Ihnen.“ „Ich habe keine Band. Für jeden Auftritt stelle
ich mir einen neuen Trupp zusammen.“ Er lehnte sich mit einem mephistolischen Lächeln
zurück. Er war sich seiner Anziehungskraft bewusst, und sie konnte ihm
seine Attraktivität nicht absprechen. Er verstand es, seine Attribute
aus jugendlicher Schönheit und der Erfahrung von Jahrhunderten perfekt
einzusetzen. „Tatsächlich? Anscheinend wimmelt es nur so von
musikalischen Talenten.“ „Absolut nicht. Sobald sie meine Aufmerksamkeit
auf sich ziehen, übertrage ich ihnen die Fähigkeit, jedes erdenkliche
Instrument zu bedienen.“ „Mit anderen Worten, während ich hier mit Ihnen
sitze, könnte ich gleichzeitig Ukulele spielen?“ „Ein ausgezeichnete Wahl. Möchten Sie es
versuchen?“ „Genug geplänkelt. Wie lautet Ihr richtiger
Name?“ Schatten huschten über Bragis selbstgefälliges
Antlitz. Sein Lächeln erstarrte. Für einen Augenblick ließ ein
unsicheres Zwinkern seine Lider flattern. Erstaunt beobachtete sie das
kaum sichtbare Mienenspiel, als wäre ein Vorhang von seinem Gesicht
gezogen worden. Für einen Moment wirkte er unsicher und sah dabei so
unschuldig aus wie ein Kleinkind. Das war mehr als eine
Stimmungsschwankung. Es schien, als wäre er mit einem Mal eine völlig
andere Person. „Bragi. Ich heiße Bragi.“ |